24.06.2021

Zugvögel mit Quantenkompass

Das Eiweiß Cryptochrom 4 ist vermutlich der seit langem gesuchte Magnetsensor.

Während Menschen die Welt mit fünf Sinnen – Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Tasten – wahrnehmen, orientieren sich viele Tiere auch am Erdmagnet­feld. Schon seit längerem hat ein inter­disziplinäres Team der Univer­sitäten Oldenburg und Oxford Hinweise dafür gesammelt, dass der Magnetsinn von Zugvögeln wie beispiels­weise Rotkehlchen auf einem bestimmten licht­empfindlichen Eiweiß im Auge beruht. Nun zeigen die Forschenden, dass das Eiweiß Crypto­chrom 4, das sich in der Netzhaut von Vögeln befindet, empfindlich auf Magnet­felder reagiert und somit höchst­wahrscheinlich der gesuchte Magnetsensor ist.

Abb.: Magnetsinn: Vier Aminosäuren im lichtempfind­lichen Eiweiß...
Abb.: Magnetsinn: Vier Aminosäuren im lichtempfind­lichen Eiweiß Crypto­chrom 4 sind entscheidend für die magne­tischen Eigen­schaften des Moleküls, in denen sich Radikalpaare bilden können. (Bild: I. Solov'yov)

Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu diesem Erfolg gelang Jingjing Xu, Doktorandin in Henrik Mouritsens Arbeits­gruppe an der Universität Oldenburg. Nachdem der genetische Code des potentiell magnetisch sensitiven Crypto­chroms 4 von Rotkehlchen entschlüsselt worden war, konnte Xu das Pigment erstmals mit Hilfe von Bakterien­kulturen in großen Mengen produzieren. Die Gruppen von Christiane Timmel und Stuart Mackenzie in Oxford nutzten anschließend verschiedene Methoden, darunter Magnet­resonanz­messungen und neue spektro­skopische Verfahren, um das Eiweiß zu untersuchen und seine ausgeprägte Empfind­lichkeit für Magnet­felder nachzu­weisen.

Darüber hinaus entschlüsselte das Team auch den Mechanismus, durch den diese Sensi­tivität entsteht – ein weiterer wichtiger Fortschritt. „Eine entscheidende Rolle dabei spielen Elektronen, die sich innerhalb des Moleküls bewegen können, nachdem sie durch blaues Licht aktiviert wurden“, erläutert Mouritsen. Eiweiße wie Crypto­chrom sind Ketten aus Aminosäuren. Das Crypto­chrom 4 von Rotkehlchen besteht aus 527 dieser Bausteine. Chemiker um Peter Hore aus Oxford und der Oldenburger Physiker Ilia Solov’yov führten quanten­mechanische Modell­rechnungen durch, die nahelegen, dass vier der 527 Aminosäuren – Trypto­phane – entscheidend für die magnetischen Eigen­schaften des Moleküls sind. Den Berechnungen zufolge hüpfen Elektronen von einem Tryptophan zum nächsten und erzeugen dabei Radikalpaare, die magnetisch sensitiv sind. Um dies experi­mentell zu belegen, stellte das Team aus Oldenburg leicht veränderte Versionen des Cryptochroms von Rot­kehlchen her, in denen sie jeweils ein Tryptophan durch eine andere Aminosäure ersetzen. Auf diese Weise blockierten sie die Bewegung von Elektronen.

Anhand dieser modi­fizierten Proteine konnten Chemiker aus Oxford experi­mentell zeigen, dass sich die Elektronen innerhalb des Crypto­chroms genauso bewegen wie in den theo­retischen Berechnungen vorhergesagt – und dass die erzeugten Radikal­paare entscheidend dafür sind, die beobach­teten Magnet­feld-Effekte zu erklären. Das Oldenburger Team stellte darüber hinaus Cryptochrom 4 von Hühnern und Tauben her. Unter­suchungen in Oxford zeigten, dass die Proteine dieser Arten, die nicht zu den Zugvögeln zählen, zwar ähnlich auf Licht reagieren wie das des Rotkehl­chens, doch sie erwiesen sich als deutlich weniger empfindlich für Magnet­felder.

„Wir finden diese Ergebnisse sehr wichtig, weil sie zum ersten Mal zeigen, dass ein Molekül aus dem Sehapparat eines Zugvogels magnetisch sensitiv ist“, sagt Mouritsen. Ein end­gültiger Nachweis, dass es sich bei Cryptochrom 4 um den gesuchten Magnet­sensor handele, sei dies aber nicht. Denn bei allen Experimenten untersuchten die Forscher die Eiweiße isoliert im Labor. Die verwen­deten Magnetfelder waren zudem stärker als das Erdmagnet­feld. „Was noch fehlt ist der Nachweis, dass dieser Prozess auch in den Augen von Vögeln statt­findet“, betont Mouritsen. Solche Studien seien derzeit allerdings technisch noch nicht möglich.

Die Autoren gehen aber davon aus, dass die Moleküle in ihrer natür­lichen Umgebung deutlich empfind­licher für Magnetfelder sind. In Zellen der Netzhaut sind die Proteine wahr­scheinlich fixiert und in die gleiche Richtung ausgerichtet, wodurch ihre Sensi­tivität für die Richtung des Magnet­feldes ansteigen sollte. Überdies inter­agieren sie in den Zellen mit anderen Proteinen, die vermutlich die Sinnesreize verstärken. Nach diesen bislang noch unbe­kannten Partnermolekülen sucht das Team derzeit. Der endgültige Nachweis von Cryptochrom 4 als Magnet­sensor wäre Hore zufolge von grund­legender Bedeutung: „Wenn uns das gelingt, würden wir zeigen, dass dieser quanten­physikalische Mechanismus Tiere empfindlich für Umwelt­reize macht, die um sechs Größen­ordnungen unterhalb der Schwelle liegen, die bislang als wahrnehmbar galt“, so der Forscher.

U. Oldenburg / JOL

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