Zweifel an Modellen zur Mondentstehung
Überraschend große Übereinstimmung zwischen dem Isotopenverhältnis auf Mond und Erde weist auf Mängel der gängigen Modelle hin.
Nach dem heutigen Stand der Mondforschung verdanken wir unseren Begleiter mitsamt seiner stabilisierenden Wirkung auf die Erdachse einem größeren kosmischen Unfall. Man vermutet, dass in der Frühzeit unseres Sonnensystems ein Himmelskörper ungefähr von der Größe des Mars, Theia genannt, leicht schräg auf die Erde prallte. Durch diesen Zusammenstoß entstand einerseits der Mond, andererseits nahm auch die Erde ein gutes Stück Masse auf und wurde so zu dem Planeten, den wir heute kennen. Da sich die Himmelskörper des Sonnensystems hinsichtlich ihrer Isotopenzusammensetzung teilweise deutlich unterscheiden, nahm man deshalb an, dass auch der Mond eine andere Isotopenzusammensetzung haben sollte als die Erde. Dies folgt unter anderem aus dynamischen Modellen der Planetenkollision, nach denen ungefähr 40 Prozent des Mondmaterials von Theia stammen.
Abb.: Die Isotopenzusammensetzung von Titan auf Mond, Erde und einigen Meteoriten (von unten nach oben). Die Fehlerbalken geben 95%-Konfidenzintervalle an. Der rote Balken gibt die ursprüngliche Titan-50-Konzentration auf dem Mond an, bevor kosmische Strahlung sie leicht verschob. (Bild: Zhang et al. / NPG)
Wissenschaftlern um Nicolas Dauphas und Alexei Fedkin von der University of Chicago zufolge ist jedoch die Isotopenzusammensetzung von Mond und Erde sehr viel homogener, als bisherangenommen. So untersuchten die Forscher insbesondere das Verhältnis von Titan-47 zu Titan-50. Dazu verglichen sie 24 Gesteinsproben vom Mond, 37 von Meteoriten und fünf von der Erde. Hier unterschieden sich Mond und Erde nur minimal um 0,0004 Prozent. Dies ist weniger als ein Hundertstel der Unterschiede, wie sie bei Meteoriten nachgewiesen werden.
Auch bei anderen Isotopen wie Sauerstoff weiß man schon länger von der praktisch identischen Zusammensetzung von Mond- und Erdgestein. Bei einem leichtflüchtigen Element wie Sauerstoff ging man aber davon aus, dass es sich im extrem heißen und turbulenten Geschehen nach der Kollision zwischen Theia und Erde austauschen konnte. Dies wäre eine Erklärung für die Homogenität der Isotope. Für ein schwerflüchtiges Element wie Titan mit sehr hohem Schmelzpunkt kommt diese Erklärung aber nicht in Frage, so dass neue Fragen zum Kollisionsmodell und zur Dynamik des Materieaustausches aufgeworfen werden.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Theia und die junge Erde rein zufällig die gleiche Isotopenzusammensetzung hatten. Es sieht also so aus, dass entweder der Mond zum allergrößten Teil aus Gestein des Erdmantels besteht oder aber, dass sich die Gesteinsmassen von Erde und Theia bei der Kollision sehr viel stärker durchmischt haben, als man es mit heutigen Modellen nachvollziehen kann. Die Wissenschaftler aus Chicago schlagen als einen möglichen Lösungsansatz vor, Theia könne ein Eisplanet vom Rand unseres Sonnensystems gewesen sein, der nach innen wanderte. Das Eis wäre bei der Kollision verdampft und Theia hätte kaum Material abgegeben, der Mond entstand daher hauptsächlich aus Erdgestein.
Andererseits hängt die Modellierung der Planetenkollision stark an Parametern wie der exakten Masse und Dichte der beteiligten Objekte sowie Geschwindigkeit und Einschlagswinkel. Man könnte auch an diesen Schrauben noch ein wenig drehen. Wie Matthias Meier von der Universität Lund in Schweden mitteilt, ist es bislang zwar nicht gelungen, das „Mond-Erde-System in allen physikalischen Parametern exakt zu reproduzieren, aber die Arbeit mit den neuen Modellen hat auch erst angefangen.“ Die entdeckten Zusammenhänge dienen jedenfalls als strenge Kriterien für künftige Simulationen.
Dirk Eidemüller