Die dreidimensionale Supernova-Simulation visualisiert unter anderem die Aktivität im Neutrinoheizgebiet um den Neutronenstern. (vgl. S. 47)
Physik Journal 3 / 2018
Meinung
Inhaltsverzeichnis
Aktuell
USA
Es ist zwei vor zwölf Forschung im Vergleich Initiative für Quantencomputer Kommerzieller ISS-Service
High-Tech
Im Brennpunkt
Schwächelt die Dunkle Materie?
Experimente zur Suche nach schwach wechselwirkenden Dunkle Materie-Teilchen haben trotz immer höherer Sensitivität noch keinen Hinweis auf WIMPs gefunden.
Forum
Quanten machen große Sprünge
Ein Flaggschiff der Europäischen Kommission zu Quantentechnologien soll helfen, Ergebnisse aus den Laboren in marktreife Produkte zu überführen.
Im April 2016 gab die Europäische Kommission – versteckt in einer umfangreichen Pressemitteilung – bekannt, im Rahmen einer European Cloud Initiative ein europaweites Flaggschiff zu Quantentechnologien fördern zu wollen. Grundlage der Entscheidung, im Laufe von zehn Jahren etwa 500 Millionen Euro zu investieren, sofern die Mitgliedsstaaten einen ähnlichen Beitrag durch nationale Fördermittel aufbringen, war das „Quantum Manifesto“. Ein sechsköpfiges Autorenteam um den Quantenphysiker Tommaso Calarco (IQST Ulm) hatte dieses verfasst. Fast 3700 Befürworter aus Wissenschaft und Industrie haben diese Roadmap der europäischen Quantentechnologie unterzeichnet, die auf Einladung von Günther Oettinger, damals EU-Kommissar für „Digital Economy and Science“, entstanden war.
Ein völlig anderes Verfahren also, ein Flaggschiff aus der Taufe zu heben, als es für die bereits laufenden Initiativen – das Graphene Flagship und das Human Brain Project – der Fall war. Beide hatten sich in einem mehrjährigen Prozess in verschiedenen Auswahlrunden gegen über 20 konkurrierende Projekte durchgesetzt.3) Darunter war ein von Peter Zoller (IQOQI Innsbruck, Österreich) koordinierter Vorschlag zur industriellen Anwendung von Quantentechnologien, den Tommaso Calarco in einer der Auswahlrunden vorgestellt hatte. Der Antrag hatte aber nicht den Sprung in die Runde der sechs Pilotprojekte geschafft, die im Mai 2011 in die engere Wahl kamen. Doch die Idee einer „zweiten Quantenrevolution“ stand damit im Raum. Für die Physiker bedeutet das, Quanteneffekte wie Verschränkung und Superposition zu nutzen, um neue Anwendungen von Quantentechnologien zu erschließen.
Diesen Vorschlägen geht in Großbritannien bereits seit Dezember 2014 eine groß angelegte nationale Initiative nach: In vier Zentren, so genannten Quantum Hubs, wird die Forschung auf komplementären Gebieten koordiniert (Infokasten UK National Quantum Technologies Programme). An den Standorten und den angeschlossenen Partneruniversitäten stehen den Forscherinnen und Forschern für verschiedenste Projekte umgerechnet etwa 350 Millionen Euro innerhalb von fünf Jahren zur Verfügung. (...)
Bildung - Beruf
Porträt: „Das Bergsteigen ist meine Leidenschaft“
Der Physiker Alexander Huber hat seine Faszination für die Berge zum Beruf gemacht.
Alexander Huber (49) ist Kletterer und Bergsteiger. Seit frühester Kindheit ist er in den Bergen unterwegs und hat zahlreiche Expeditionen in die verschiedensten Regionen der Welt unternommen, oft gemeinsam mit seinem Bruder Thomas. Kurz nach dem Physikdiplom entschied er sich für einen Berufsweg außerhalb der Wissenschaft. Als Sportkletterer und Bergsteiger hat er neue Maßstäbe gesetzt, unter anderem mit vielen Erstbegehungen.
Wie sind Sie zum Klettern gekommen?
Ich bin in den Bergen aufgewachsen, außerdem haben wir sehr bergbegeisterte Eltern, die meine beiden Geschwister und mich schon früh in die Welt der Berge mitgenommen haben. Richtig mit dem Klettern angefangen habe ich aber erst mit 15. Während der Schul- und Studienzeit sind mir auch mehrere Erstbegehungen gelungen.
Sie haben sich für ein Physikstudium entschieden. Warum?
Eigentlich wollte ich Medizin studieren und habe deswegen zwei Jahre beim Rettungsdienst gearbeitet. Aber die Arbeitsbedingungen sind dort sehr schlecht. Da mich die Naturwissenschaften damals begeistert haben und mir auch gut lagen, habe ich mich dann für Physik entschieden.
Was war Ihr Berufsziel?
Ich habe davon geträumt, auf der Neumayer-Station in der Antarktis zu arbeiten. Deshalb wollte ich nach dem Studium zunächst in der Wissenschaft bleiben. Allerdings wusste ich damals schon, dass ich das nicht mein ganzes Leben machen will. (...)
Lehre
Physik aus der Kiste
Außerhalb der Schule kann Physik viel spannender sein – das zeigen bereits einfache Experimente, die Platz in einer kleinen Holzkiste haben.
Ein Fahrrad mit Anhänger und einer Holzkiste gefüllt mit einfachen Experimentiergeräten – das ist die „Mobile Physik-Kiste“. In Parks, Jugendeinrichtungen, Kindergärten und Schulen lässt sich damit ohne viel Vorbereitung zeigen, dass unser Alltag voll von Naturwissenschaften ist. Durch Experimente, bei denen die Zuschauer beteiligt werden, wird Physik erlebbar.
Als Physiklehrer am Hardenberg-Gymnasium in Fürth hatte ich vor fast 25 Jahren mit Schülern und Referendaren Experimentierstationen geplant, gebaut und im Gang vor den Physikräumen ausgestellt. Schülerinnen und Schüler konnten sie selbstbestimmt nutzen und physikalische Phänomene durch „Ergreifen“ auch „Begreifen“ [1]. Viele weitere spannende physikalische Phänomene kamen aber aufgrund möglicher Risiken bei der unbeaufsichtigten Nutzung für eine solche Ausstellung nicht infrage. So entstand 2002 die Idee zum „Versuch der Woche“, bei dem wir an jedem Dienstag in der ersten Pause spannende und auch spektakuläre physikalische Erscheinungen in wenigen Minuten im Physiksaal unterhaltsam in Szene setzten. Dieser motivierende Ansatz regte die Schülerinnen und Schüler sehr viel langfristiger dazu an, sich an ihre Beobachtungen zu erinnern und darüber mit intellektuellem Vergnügen und Neugier zu reflektieren als der normale Unterricht [2].
Nach meiner Pensionierung begann ich im Jahr 2007 das Projekt „Physik auf der Bühne“, bei dem ich zusammen mit fünf Lehrern der Fächer Musik, Deutsch, Sozialkunde und Geschichte kleine Kunststücke aus Physik und Musik auf mehreren Bühnen inszenierte [3]. Das unterhaltsame Bühnenprogramm führte Kinder und Jugendliche durch altersgerechte Darstellungen spielerisch an Naturwissenschaften, speziell an Physik, heran. Teilweise durften die Kinder und Jugendlichen aktiv mithelfen. Einige Präsentationen blieben zauberhaft, die meisten überraschenden Beobachtungen erklärte der „Physiker“ jedoch verständlich (Abb. 1). (...)
Überblick
Die Optik macht es noch genauer
Die wesentlichen Schritte auf dem Weg zu einer Neudefinition der Sekunde über optische Übergänge sind gelungen.
Seit mehr als fünfzig Jahren ist die Sekunde im Internationalen Einheitensystem über den Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Cäsiumatomen definiert. Atomuhren, die auf der Messung dieses Übergangs basieren, haben inzwischen eine relative Unsicherheit im Bereich von 10–16 erreicht. Atomuhren jedoch, die auf optischen Übergängen basieren, versprechen eine um zwei Größenordnungen höhere Genauigkeit und legen damit eine Neudefinition der Sekunde nahe.
Mache keine Messung, wenn es nicht eine Frequenzmessung ist! Diesen Rat hat Arthur Schawlow seinem Kollegen Theodor Hänsch mit auf den Weg gegeben [1]. Beide sind damit gut gefahren, denn jeder hat später einen Nobelpreis für Arbeiten erhalten, die in engem Zusammenhang mit optischen Atomuhren stehen. Bei diesen wird in den Atomen ein Quantenübergang mit extrem schmaler Linienbreite angeregt, der darüber hinaus möglichst unempfindlich gegen äußere Störungen ist. In der Cäsium-Atomuhr ist dies der Hyperfeinstrukturübergang im Grundzustand von atomarem Cäsium, der sich mit einer Radiofrequenz von 9 192 631 770 Hz anregen lässt. Dieser Übergang definiert seit 1967 die Sekunde als Basiseinheit des Internationalen Einheitensystems [2]. Seither verringerte sich die Unsicherheit, mit der diese Frequenz in den besten Cäsiumuhren realisiert ist, um etwa fünf Größenordnungen (Abb. 1). Das war unter anderem mithilfe lasergekühlter Atome möglich – eine Methode, die auf einen Vorschlag von Hänsch und Schawlow zurückgeht. Damit gelang es, die Wechselwirkungszeit der Cäsiumatome mit der Radiofrequenz um Größenordnungen zu verlängern und damit die in der Uhr aufgelöste Linienbreite zu verringern – diese entspricht nach Fourier der reziproken Wechselwirkungszeit. (...)
Zündende Neutrinos
Dreidimensionale Simulationen zeigen die zentrale Bedeutung der Neutrinos für Supernovae.
So genannte Kernkollaps-Supernovae sind die gigantischen Explosionen, mit denen massereiche Sterne ihre Entwicklung beenden. Neutrinos spielen dabei eine zentrale Rolle. Erstmals ließ sich mit aufwändigen Computersimulationen in allen drei Raumdimensionen erfolgreich nachvollziehen, wie Neutrinos im engen Zusammenspiel mit hydrodynamischen Instabilitäten die Sternexplosion auslösen.
upernovae gehören zu den spektakulärsten Phänomenen im Universum. Binnen weniger Tage können sie so viel Energie freisetzen wie die Sonne in zehn Milliarden Jahren. Sie strahlen dabei heller als sämtliche Sterne einer Galaxie zusammen. Supernovae sind zudem kosmische „Elementschleudern“. Sie verteilen die schweren chemischen Elemente, welche die Vorläufersterne erbrüten, im zirkumstellaren Raum und produzieren gleichzeitig bei der Explosion große Mengen Eisengruppenelemente, radioaktive Isotope wie 44Ti, 60Fe, 56, 57Ni und neutronen- und protonenreiche Nuklide jenseits von Eisen. Durch ihre Beiträge zur Nukleosynthese und ihre gewaltige Energiefreisetzung spielen Supernovae eine zentrale Rolle im kosmischen Materiekreislauf und beeinflussen die dynamische und chemische Entwicklung von Galaxien [1].
Neben thermonuklear explodierenden Weißen Zwergen, den Typ-Ia-Supernovae, gehören die Kernkollaps-Supernovae zu den häufigsten Sternexplosionen und sind alleiniger Gegenstand dieses Artikels. Der Name rührt daher, dass diese Supernovae ihre Energie aus dem gravitativen Kollaps des entarteten stellaren Kerns zu einem Neutronenstern beziehen [2], bisweilen auch zu einem Schwarzen Loch.
Das einzige Mittel, direkte Informationen über die Vorgänge im Zentrum einer Supernova zu erhalten, welche die Explosion antreiben, ist die Beobachtung von Neutrinos, die der sich bildende Neutronenstern in großer Zahl abstrahlt. Die Messung von Neutrinos aus der berühmten Supernova 1987A markiert die Geburtsstunde der extragalaktischen Neutrinoastronomie. Auch Gravitationswellen, die das Herz der Explosion unmittelbar verlassen können, eignen sich als Informationsträger. Sie werden beispielsweise ausgesendet, wenn der Kollaps nicht perfekt symmetrisch verläuft. (...)
Geschichte
Bombe oder Reaktor?
Physikalische und wissenschaftshistorische Perspektiven auf die „deutsche Atombombe“
Während des Zweiten Weltkriegs befassten sich die Mitglieder des deutschen Uranvereins um Werner Heisenberg mit den Möglichkeiten der Kernenergie. Bis heute wird kontrovers diskutiert, ob die deutschen Wissenschaftler nur an einem Kernreaktor arbeiteten oder auch das Ziel verfolgten, eine Atombombe zu entwickeln. Hatten sie für Letzteres überhaupt das nötige Wissen?
Im Rahmen ihres Manhattan-Projekts zur Entwicklung der Atombombe hatten die USA eine wissenschaftliche Geheimdienst-Mission mit dem Tarnnamen „Alsos“ ins Leben gerufen. Ihr Ziel war es, den Stand der deutschen Kernforschung zu erkunden. Die drängendste Frage dabei: Arbeiteten deutsche Forscher ebenfalls an einer Atombombe? Der wissenschaftliche Leiter der Alsos-Mission war der aus Holland stammende Physiker Samuel Goudsmit (1902 – 1978), der seit 1927 in den USA forschte. Ab 1943 waren Alsos-Einheiten in ganz Europa auf der Suche nach Wissenschaftlern, geheimen Laboren, wissenschaftlichen Aufzeichnungen und nicht zuletzt nach Uran oder Moderator.
1947 veröffentlichte Goudsmit sein Buch „Alsos“. Darin behauptete er, dass die deutschen Physiker, insbesondere Werner Heisenberg, den Unterschied zwischen einem Kernreaktor und einer Atombombe nicht verstanden hätten: „Sie dachten, dass es letztlich möglich sein müsste, einen Reaktor aufzubauen, in dem die Kettenreaktion so schnell ablief, dass er eine Explosion erzeugt“ ([1], S. 177). (...)