03.02.2009

A New Foundation of Physical Theories

Ludwig, G. und Thurler, L.

Günther Ludwig (1918 – 2007) und sein Koautor Gérald Thurler präsentieren uns das Ergebnis eines ehrgeizigen Programms: Die Struktur beliebiger physikalischer Theorien exakt zu beschreiben. Sie beginnen bei einer allgemeinen Beschreibung mathemati-scher Theorien nach Bourbaki, gehen über Abbildungsprinzipien auf physikalische Theorien und von da weiter auf die Wirklichkeit (und umgekehrt) durch alle Phasen dessen, was eine physikalische Theorie ausmacht. Das Buch ist die wesentlich umgearbeitete und englische Neuausgabe von Ludwigs „Die Grundstrukturen einer physikalischen Theorie“ (1978).
Die Autoren betonen die Neuigkeit ihres Ansatzes in zwei Punkten:
1. Eine Grund-Sprache, die festgestellte Tatsachen einfach (genormt) ausdrückt, soll die Verbindung zwischen sprachlichen, be-grifflichen und realen Gegenständen klären. 2. Die physikalischen Beschreibungen der Wirklichkeit enthalten immer gewisse Näherungen oder Ungenauigkeiten, die für die Physik fundamental sind. Hier geben die Autoren eine Blickrichtung vor, die in der Wissenschaftstheorie lange vernachlässigt worden ist: Viele Rätsel, vor allem der Quantenmechanik, lösen sich, wenn man dieses Fundament der Physik in den Blick nimmt.
Auf dieser Grundlage schlagen sie vor, das Finden von neuen Begriffen und die Beziehung zwischen verschiedenen Theorien – das bekannte Problem der Reduktion von Theorien auf andere – neu zu behandeln.
Die Analyse stammt offensichtlich von einem praktisch arbeitenden Physiker. Im Unterschied zu einem Wissenschaftstheoreti-ker kennt er die Probleme bei der Entwicklung von sinnvollen Theorien, er kennt dafür weniger die vertrackten Wege der wissenschaftstheoretischen Diskussion. Viele seiner Ausführungen wirken im Vergleich gelegentlich naiv. Dennoch haben sich Wissenschaftsphilosophen wie z. B. Wolfgang Stegmüller, Wolfgang Balzer und vor allem Erhard Scheibe intensiv mit Ludwigs Vorschlägen auseinandergesetzt.
Die Beziehung zwischen Wirklichkeit und Theorie wird sehr detailliert beschrieben, wobei verschiedene Bereiche von für die Physik relevanter Wirklichkeit definiert werden. Eher noch detaillierter fällt die Analyse der theoretischen Struktur aus, von einer Grundlegung der Mathematik nach Bourbaki bis zur „Erweiterung“ von physikalischen Theorien.
Gelegentlich äußern die Autoren relativ apodiktisch ungewohnte Ansichten, z. B. dass jede Physik im Prinzip endlich sein müsste, weil man empirisch immer nur endlich viele Möglichkeiten unterscheiden kann. Oder dass es den in der Quantenmecha-nik beschriebenen „Kollaps des Wellenpakets“ in Wirklichkeit nicht gebe, und viele ähnlich Beispiele mit einer langen Diskussionsgeschichte.
In den Grundprinzipien geht die Neuausgabe kaum über die Ausgabe von 1978 hinaus. Sie ist allerdings in Vielem genauer ausgeführt, ausdrücklicher in den formalen Konstruktionen und den Zuweisungen von besonderen Zeichen. Hier sind vermutlich die Reaktionen auf viele Anregungen und Einwände eingeflossen. Durch die noch intensivere Verwendung von abkürzenden Symbo-len und das sehr „deutsche“ Englisch ist der Text allerdings schwerer zugänglich geworden. Dabei ist das ganze Projekt faszinierend, ein mutiges und überzeugendes Unterfangen, mit viel Fachverstand und genialen Gedanken angegangen. Der Leser muss sich allerdings auf ein gutes Pensum harter Arbeit einstellen, die sich aber lohnt. Ich kann das Buch jedem an Grundlagen der Physik und an ernsthafter Wissenschaftstheorie Interessierten nur empfehlen.
Prof. Dr. Michael Drieschner, Institut für Philosophie, Ruhr-Universität Bochum

G. Ludwig, L. Thurler: A New Foundation of Physical Theories
Springer, Berlin, 2. Aufl. 2008, 178 S., geb., ISBN 9783540308324

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