Abschied von der Weltformel
Laughlin, R. B.
Laughlin beginnt mit der wichtigen, aber leichthin formulierten Überlegung, dass wir Gesetze aus der Ordnung ab-leiten, die wir in der Natur erkennen können. Dagegen wird vielfach die Vorstellung vertreten, das Verhältnis sei genau umgekehrt und die Ordnung würde aus unseren Naturgesetzen folgen. Er verweist darauf, dass ein Ganzes mehr ist als die Summe der Teile und erinnert daran, dass nicht alles „auf der Grundlage von Gesetzen auf mikroskopischer Ebene gesteuert“ wird (S. 15). Dieser Hinweis ist wichtig, denn allzu oft dominiert das Nachdenken über „elementare Bausteine“.
Mit zahlreichen Anekdoten aus seinem Forscher- und Unialltag vermittelt Laughlin ein lebendiges Bild des ameri-kanischen Wissen-schaftsbetriebes. Physikalisch befasst er sich unter anderem mit Phasenumwandlungen, Quan-tenmechanik, Kernforschung und natürlich der Festkörperphysik. Später (S. 307) spricht sich Laughlin gegen kos-mologische Überlegungen im Bereich von Picosekunden nach dem Urknall aus und zieht eine Parallele zwischen griechischen Schöpfungsmythen und derartigen Denkübungen.
Nach all dem Lob sei aber angemerkt, dass der Rezensent im Buch ein gravierendes, wenngleich vielleicht nur sprachliches Problem erkennt. Der Geltungsbereich der Quantentheorie ist keineswegs – wie manche Folklore meint – auf das „Mikroskopische“ eingeschränkt. Aus der mathematischen Struktur der Quantentheorie folgt, dass zusam-mengesetzte Systeme Neues hervorbringen. Dieses lässt sich – weil es tatsächlich neu ist – nicht vorhersehen. Quantentheorie ist also der Teil der Physik, der als einziger die vom Autor angemerkte Eigenschaft modellieren kann, nämlich dass eine Ganzheit mehr ist als die Summe ihrer Teile. Hier ist der Platz der von Laughlin angepriesenen „Emergenz“. Während aber dieser Begriff oft „gegen den Erklärungsimperialismus der Naturwissenschaften“ ge-braucht wird, sollte er doch wohl vielmehr als Arbeitsauftrag angesehen werden, das Neue nach seiner Entdeckung mit den bereits bestehenden Bereichen wissenschaftlichen Erklärens in Verbindung zu setzen.
Entscheidend ist, dass der „Reduktionismus“ nicht mehr missverstanden wird als ein Erklären des Ganzen aus winzigen Bausteinen – in dieser Ablehnung ist Laughlin voll zuzustimmen. Vielmehr sollte Reduktion als eine theore-tische Widerspiegelung der Zusammenhänge der Wirklichkeit angesehen werden. Als Erklärung des Unbekannten aus dem Bekannten und des Unverstandenen aus dem bereits Verstandenen kann die Reduktion die Grundlage von Naturwissenschaft bleiben. Zugleich kann sie helfen, die Fehlvorstellung einer einzigen universell gültigen axiomati-schen Struktur zu vermeiden. Erst so verstanden werden sich Emergenz und Reduktion als zwei verschiedene Aspekte des Erklärungsprozesses erweisen können.
Prof. Dr. Thomas Görnitz, Institut für Didaktik der Physik, Universität Frankfurt/Main
R. B. Laughlin: Abschied von der Weltformel - Die Neuerfindung der Physik
Piper, München 2007, 336 S., geb., ISBN 9783492047180