Die berühmtesten Mythen der Wissenschaft

Antoine Houlou-Garcia: Die berühmtesten Mythen der Wissenschaft – Von Archimedes bis Marie Curie, ­Reclam Verlag, Ditzingen 2025, geb., 208 S., 25 Euro, ISBN 9783150115053

Antoine Houlou-Garcia

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Archimedes entdeckte das nach ihm benannte Prinzip, als er in die Badewanne stieg. Albert Einstein lernte spät sprechen und konnte mit Mathe­matik nichts anfangen. Marie Curie Skłodowska war zu ihrer Zeit die einzige Frau, die an einer Universität forschte. Die Geschichte der Wissenschaft ist voll von solchen Mythen, die – gewollt oder ungewollt – eine Person zum Genie erheben, das alle anderen seines Faches weithin überstrahlt.

Doch wer sich mit Wissen­schaftsgeschichte befasst, sollte sich immer auf Quellen jenseits des Hörensagens berufen können, meint Antoine Houlou-Garcia. Daher untersucht der studierte Mathematiker, der heute politische Theorie an der Universität Trient lehrt, in seinem Buch ein Dutzend solcher Mythen eingehend und zeigt nicht nur auf, wie sie ihren Weg in die Welt fanden, sondern auch wozu.

Den Anfang macht – wie könnte es anders sein – Newtons berühmter ­Apfel. Wie in den anderen Kapiteln auch, beschreibt Houlou-Garcia zunächst den Mythos mit einem teils schelmischen Blick auf die Angelegenheit. Anschließend sucht er nach Belegen für die Erzählung – und findet diese in aller Regel auch. In Newtons Fall berichteten tatsächlich schon ­einige Wegbegleiter, dass der berühmte Universal­gelehrte die Anek­dote selbst erzählte: Er sah einen Apfel vom Baum fallen und erkannte schlagartig. wie die Schwerkraft funktioniert. Solche Zitate belegt Houlou-Garcia mit exakten Quellenangaben in einem ausführlichen Anmerkungsapparat und scheut sich nicht, auch Originale in Latein und Griechisch anzuführen.

Im Anschluss daran folgt seine persönliche Einschätzung der Situation. Im Falle des Apfels dreht sich diese um die Frage, warum dieser bereits Mitte der 1660er-Jahre gefallen sein soll, Newton ihn aber nachweisbar erst 1726 erwähnt. Die Antwort findet der Autor im Prioritätsstreit um das Gravitationsgesetz mit Robert Hooke: Die Geschichte vom Apfel sorge dafür, dass Newton so beanspruchen könne, nicht nur mit Abstand als Erster die Zusammenhänge erkannt zu haben, sondern auch als Einziger – auch wenn er diesen Geniestreich erst Jahrzehnte später veröffentlichte, nachdem er wohl intensiv mit Hooke, Edmond Halley und anderen über die Gravitation diskutiert hatte.

Vergnügliches zu Genies

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Ob man dieser Logik nun folgen mag oder nicht: Amüsant zu lesen ist das allemal. Immer wieder bringt Houlou-Garcia das festgefahrene Bild berühmter Personen aus den Naturwissenschaften mit seinen Darlegungen ins Wanken. So mache die berühmte „Heureka“-Erzählung aus dem eingefleischten Theoretiker Archimedes im Nachgang einen anwendungsversessenen Ingenieur, während Louis Pasteurs erfolgreiche Tollwutimpfung zeige, wie Wissenschaftsmarketing erfolgreich funktioniert und manchmal sogar aus heutiger Sicht unethisches Verhalten rechtfertigt.

Der handliche Band mit knapp 200 Seiten Text lässt sich gut in einem Rutsch lesen; jedes Kapitel funktioniert aber auch für sich alleine. Alles in allem ist er ein schönes Geschenk für alle, die sich für die Geschichten hinter den Mythen interessieren und für manchmal gewagte, aber nie unbegründete Interpretationen offen sind.

Kerstin Sonnabend

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