Fabelhafte Flüssigkeiten
Mark Miodownik: Fabelhafte Flüssigkeiten, Penguin Verlag, München, brosch., 304 S., 14 €, ISBN 9783328106593
Mark Miodownik
Während eines langen Flugs von London nach San Francisco kommen dem Materialwissenschaftler Mark Miodownik besondere Dinge in den Sinn, und er lädt dazu ein, mit ihm die fabelhafte Welt der Flüssigkeiten zu erkunden. Nach einer Einleitung geht er in 13 Kapiteln auf die unterschiedlichen Eigenschaften ein, die Materie in diesem Aggregatzustand entwickeln kann – immer motiviert durch Ereignisse während seines Flugs.
Die Furcht, dieser „rote Faden“ könnte konstruiert wirken, ist unbegründet. Vielmehr wechselt Miodownik geschmeidig zwischen dem Erklären komplizierter Zusammenhänge und der Realität seines Transatlantikflugs. So fällt es leicht, ihm abzunehmen, dass er diese Reise genauso erlebt hat – inklusive der Pointe im letzten Kapitel, die hier nicht verraten wird. Für die fesselnde Beschreibung sorgt dabei auch die kluge Übersetzung des englischen Originals durch Jürgen Neubauer.
Miodowniks Reise beginnt mit der Handgepäckkontrolle. Dass Verpackungen mit mehr als 100 Milliliter Flüssigkeit nicht mit an Bord dürfen, gilt auch für ungewöhnliche Erscheinungsformen, wie Erdnussbutter, Honig, Pesto oder Zahnpasta. Die scheinbaren Feststoffe fließen und schmiegen sich an ihre Behälter an – zwei der Eigenschaften, die Flüssigkeiten von Festkörpern und Gasen unterscheiden. Ihre äußere Erscheinung verrät meist nicht, ob sie wohlschmeckend oder lebensgefährlich sind.
Im Flugzeug auf seinem Sitzplatz angekommen fragt sich der Autor im Kapitel „Explosiv“, ob die Sicherheitsbelehrung nur dazu dient, von den zigtausend Litern Kerosin an Bord abzulenken. Dabei fällt ihm ein, dass der persische Physiker und Alchemist Rhazes im neunten Jahrhundert erstmals beschrieben hat, wie sich Kerosin aus Rohöl gewinnen lässt. Miodownik erklärt, warum es der öligen Flüssigkeit bis ins 19. Jahrhundert nicht gelang, andere Brennstoffe für Lampen wie Olivenöl oder Tran zu verdrängen. Dabei lernt man viel von der im Kerosin gespeicherten Energie bis zur Kohlendioxid-Problematik, welche die intensive Suche nach Alternativen befeuert.
Ähnlich dicht, mit Schlenkern zu verwandten Themen, doch gleichzeitig unterhaltsam und verständlich widmet sich Miodownik weiteren Eigenschaften von Flüssigkeiten, etwa der servierten Getränke. Der Flug durch Turbulenzen erinnert ihn, wie „Tief“ der Ozean ist, auf den das Flugzeug stürzen könnte, und wie „Klebrig“ ein Stoff sein muss, um die vibrierenden Tragflächen zusammenzuhalten. Beim Händewaschen auf der Toilette erklärt er, warum Flüssigkeiten „Reinigend“ wirken, und das Ausfüllen des Zollformulars verleitet zu einem Exkurs, wie „Dokumentenecht“ sie bleiben. Im Landeanflug auf San Francisco geht es „Wolkig“ zu, während er heil am Boden angekommen darauf zu sprechen kommt, dass unsere Erde „Fest“ erscheint, obwohl ihr Inneres größtenteils flüssig ist.
Die knapp 300 Seiten kommen mit wenigen Bildern und Skizzen aus, hauptsächlich um chemische Strukturen genauer zu erläutern. Ein umfassendes Register und einige Tipps zum Weiterlesen runden das gelungene Buch ab, das sich nicht nur als lehrreicher Zeitvertrieb für die nächste Flugreise eignet.
Kerstin Sonnabend