05.09.2006

Farbe

Zollinger

Der Farbchemiker Heinrich Zollinger präsentiert eine faszinierende Darstellung der Welt der Farben aus unterschiedlichen Perspektiven. Aufbauend auf Erfahrungen in der Farbstoffindustrie und an der Universität Zürich nähert er sich den Farben zunächst aus physikalischer Sicht über Wellenlängen, Prismen, Spektren und Interferenz und aus chemischer Sicht über Strukturformeln für Farbstoffe und Pigmente bis zur Molekülorbitaltheorie. Dem Fachmann wird vieles bekannt sein, doch findet man immer wieder Interessantes, und seien es nur die historischen Anmerkungen. Die Kapitel beginnen mit einer Beschreibung von Experimenten und phänomenologischen Betrachtungen. Für den Laien werden die Grundlagen einfach genug dargestellt, um die anschließende Interpretation der Beobachtungen verstehen zu können.
Das Kapitel über Kolorimetrie führt von Farbmessung über Farbwahrnehmung und Farbharmonie zu der Frage, wie wir die Farben sehen. Zur Beantwortung beschreibt der Autor (zu?) ausführlich das menschliche Auge, die Photochemie in der Netzhaut und den Weg der visuellen Information ins Gehirn. Natürlich werden auch optische Täuschungen diskutiert. Interessanter fand ich die Informationen über das Sehvermögen von Tieren und deren unterschiedliche Farbwahrnehmungen. So spannt der Autor immer wieder einen weiten Bogen, schießt dabei aber manchmal über das Ziel hinaus, z. B. wenn er erläutert, wie die Affen für die Verbreitung von Bäumen sorgen, warum Frösche Mücken besser fangen als Menschen, oder was der Hirnchirurgie bei Epilepsie möglich ist. An anderer Stelle führt die Besprechung des für die rote Farbe der Tomate verantwortlichen Pigments Lycopen über andere Carotinoide zu der Feststellung, dass Vitamin A zur Krebsvorbeugung nicht hilfreich sei. Hier fände ich eine Beschränkung auf das Thema Farben hilfreich.
Es überrascht, dass sich ein “eingefleischter Farbstoff-Chemiker für Linguistik und Erkenntnisforschung interessiert“. So beruht das Kapitel Linguistik auf wissenschaftlichen Veröffentlichungen des Autors, u. a. linguistischen Studien zur Benennung von Farben in der Schweiz, Israel, Japan, Honduras und Guatemala.
Umfangreich und besonders üppig bebildert ist das Kapitel über Farbe in der Kunst, das sich nicht nur auf europäische Kunst beschränkt, sondern auch japanische Kunst ausführlicher behandelt. Das abschließende Kapitel über Bewusstsein und Ästhetik nimmt leider wieder wenig Bezug auf das Thema des Buches.
Abgesehen von den naturwissenschaftlichen Kapiteln kann ich nicht beurteilen, ob die jeweiligen Fachleute mit allen Aussagen des Autors zufrieden wären. Ich war es, mir hat das Buch viele Anregungen gegeben. Ein solches Buch hätte ich mir gewünscht, als ich vor einigen Jahren ein transdisziplinäres Seminar über Farben gestaltet habe.

Prof. Dr. Michael Schreiber, Institut für Physik, Technische Universität Chemnitz



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