25.05.2021

Filmkritik: Last and First Men

Jóhann Jóhannsson & Yair Elazar Glotman: Last and First Men, Deutsche Grammo­phon, Berlin 2020, Digipak, CD (65:41) und Blu-Ray (70:42, RC 0, SW/Farbe, Sprache: Englisch, Untertitel (optional): Englisch, 24-seitiges Booklet, 20,99 €

Jóhann Jóhannsson & Yair Elazar Glotman

Die beiden erfolgreichen Kinofilme „The Theory of Everything“ (2014) und „Arrival“ (2016) haben interessante Gemeinsamkeiten. Beide haben Physiker als Protagonisten. „Theory of Everything“ ist ein biographischer Spielfilm über Stephen Hawking, und der Science-Fiction-Film „Arrival“ konfrontiert eine Linguistin und einen Physiker mit Außer­irdischen, unterschlägt nur leider die physikalische Pointe der literarischen Vor­lage. Für beide Filme lieferte der isländische Komponist Jóhann Jóhannsson (1969 – 2018) die Musik.

Jóhannsson, der seine musikalische Karriere im Independent-Rock begonnen hatte, kombinierte in seiner Musik klassische Instrumentierungen mit wortlosem Gesang, Minimal-Music-Anklängen und elektronischen Sounds. Mit seiner abstrakten, atmosphärischen Musik wurde der Isländer zum erfolgreichen Soundtrack-Komponisten, nicht zuletzt für Filme des Regisseurs Dan­iel Villeneuve („Prisoners“, „Sicario“, „Arrival“). Jóhannsson verfolgte bis zuletzt auch ein ­eigenes Filmprojekt, das einige seiner­ engen WeggefährtInnen voll­endet haben. Seine Weltpremiere erlebte der Film am 25. Februar 2020 bei der 70. Berlinale und war kaum in den Kinos zu sehen. Umso erfreulicher ist es, dass die Deutsche Grammophon die Filmmusik zusammen mit dem Film auf Blu-Ray veröffentlicht.

Zu sagen, dass hier eine Verfilmung des aus dem Jahr 1930 stammenden gleichnamigen Buches des britischen Autors Olaf Stapledon (1886 – 1950) vorliegt, wäre eher irreführend. Bei diesem umfangreichen und außergewöhnlichen Werk der Science-Fiction-Literatur handelt es sich um die Geschichte der Menschheit in den kommenden zwei Milliarden Jahren. In der Abfolge von insgesamt 18 Menschenarten mit immer neuen Eigenschaften und Fähigkeiten wird die Menschheit selbst zum Protagonisten einer Geschichte, die kaum als Roman, sondern eher als zukunftsphiloso­phischer Traktat zu bezeichnen ist.

Die Menschheit besiedelt die Venus und findet nach unzähligen Generationen eine letzte Zuflucht auf dem Planeten Neptun. Dort droht schließlich das unausweichliche Ende durch eine kosmische Katastrophe. Die „18. Menschen“ nehmen Kontakt mit den Menschen des 20. Jahrhunderts auf: „Listen patiently; for we who are the Last Men earnestly desire to communicate with you, who are members of the First Human Species. We can help you, and we need your help.“

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Stapledons Buch ist ein faszinierender Flug der Fantasie, der nicht mit einer spannenden Handlung, sondern mit einer beeindruckenden Ideenfülle aufwartet, etwa dem „dritten astronomischen Auge“ der letzten Menschen, deren gigantische Observatorien auf dem Neptun auch eine Art Tempel sind. Das ganze Buch ist eigentlich unverfilmbar, und daher ist Jóhannssons letztes Werk auch ein höchst ungewöhnlicher Film. Kamera­mann Sturla Brandth Grøvlen, bekannt geworden durch den in einer Kameraeinstellung gedrehten Film „Victoria“ (2015), inszeniert archaisch wirkende Monumente („Spomeniks“, Abb.) in Schwarz-Weiß durch langsame Zooms und Kamerafahrten. Die grobkörnigen Bilder werden begleitet von Passagen aus dem Buch, mit würdevoller Sachlichkeit vorgetragen von der englischen Schauspielerin Tilda Swinton, und der hypnotischen Musik von Jóhannsson, die sein Kollege Yair Elazar Glotman vollendet hat. Bild, Text und Musik fügen sich zu einer wirkungsvollen Einheit zusammen, aus den klug ausgewählten Zitaten entwickelt sich eine schlüssige „story line“, die aber die Lektüre von Stapledons Buch nicht ersetzen kann, in dem auch Pandemien thematisiert werden.1)

Herausgekommen ist ein untypischer Science-Fiction-Film, ein meditativer – aber keineswegs pessimistischer – Abgesang auf die Menschheit. Wer etwas mit dem ruhigen Erzählfluss von Stanley Kubricks „2001 – A Space Odyssey“ oder den langen Einstellungen in den Filmen des russischen Regisseurs Andrei Tarkowski anfangen kann, gehört sicher zum Zielpublikum dieses Films.

Alexander Pawlak

1) „Last and First Man“ ist auf Deutsch derzeit nur als E-Book beim Piper-Verlag lieferbar und ansonsten nur antiquarisch erhältlich. Eine Neuausgabe der englischen Originalversion war bei Penguin angekündigt, aber ist dort noch nicht erschienen (Stand: November 2022). Dort ist bereits Olaf Stapledons Buch Starmaker neu aufgelegt worden, das noch größere zeitliche Dimensionen durchmisst. Auf den Seiten des Australian Gutenberg Projects finden sich neben „Last and First Man“ weitere Werke von Stapledon.


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