24.07.2023

Filmkritik: Oppenheimer

Oppenheimer (2023), Regie: Christopher Nolan, USA, 181 Minuten: Verleih: Universal (Filmstart 21. Juli 2023)

Christopher Nolan

Nach der Nachricht vom erfolgreichen Abwurf der Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945 schreitet Robert Oppenheimer durch die frenetisch applaudierenden Reihen seiner Mitarbeiter in Los Alamos ans Rednerpult und lässt sich feiern. Er bedauert nichts, außer, dass die Bombe nicht auf Deutschland abgeworfen wurde. Doch dann verstummt das Klatschen und über alles legt sich ein grelles Licht, aus dem weiße Flocken fallen und sich die Haut von den Gesichtern zu lösen scheint. Oppenheimers Fuß tritt gar in die verkohlten Überreste eines Menschen. Das ist eine Schlüsselszene des Films, in der gewissermaßen der Jubel der Täter mit dem Leiden der Opfer verschmilzt. Spätestens in diesem Moment haben die beteiligten Wissenschaftler ihre Unschuld verloren.

Robert Oppenheimer war in der Mitte des letzten Jahrhunderts neben Albert Einstein der wohl bekannteste Physiker der Welt. Als wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekts hat er es nun ins Blockbuster-Kino geschafft. Christopher Nolan bleibt dicht an der mit einem Pulitzer-Preis gekrönten Buchvorlage von Kai Bird und Martin Sherwin und legt den Fokus nicht auf den Trinity Test, sondern auf die Sicherheitsanhörung vor der Atomenergiekommission 1954 und die unrühmliche Rolle ihres Vorsitzenden Lewis Strauss.

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Oppenheimer, der schmächtige, oft nervös angespannt wirkende Kettenraucher, war das verwöhnte Kind wohlhabender Eltern und ein schwieriger Charakter. Er sprach meist mit leiser Stimme, konnte sich aber gewandt ausdrücken und war ein Ästhet, ein „ultra-intellektueller Amerikaner“, wie ihn sein Kollege Roy Glauber einmal nannte. Und trotzdem (oder gerade deshalb) gelang es Oppenheimer, die Elite der Physiker in den USA von der Notwendigkeit einer Mitarbeit am amerikanischen Atombombenprogramm zu überzeugen.

Im Gegensatz zu einigen seiner Abteilungsleiter im Manhattan-Projekt (Arthur Compton, Ernest Lawrence, Enrico Fermi) war er weder Nobelpreisträger noch konnte er mit aufsehenerregenden wissenschaftlichen Entdeckungen glänzen. Zwar deutet der Film einige seiner wissenschaftlichen Verdienste an, etwa die Zusammenarbeit mit Max Born über Mehrteilchensysteme (Born-Oppenheimer-Näherung) und seine Ideen zum Sternenkollaps (Oppenheimer-Volkhoff-Grenze), doch all dies verblasst vor seinem Mythos als „Vater der Atombombe“. Er selbst hielt seine Beschreibung des Paarerzeugungsprozesses von 1933 für seine bedeutendste physikalische Arbeit.

Oppenheimer war ein exzellenter Netzwerker, aber kein wissenschaftliches Genie. Die Kern- und Teilchenphysik in den 1940er- und 1950er-Jahren markiert den Beginn von „Big Science“, deren Erfolg vor allem auch von Begegnungen, Beziehungen und Netzwerken abhing. Ähnlich wie Wernher von Braun besaß Oppenheimer ein Talent für Wissenschaftsmanagement und Personalführung. Er war ein von allen respektierter Organisator mit der Fähigkeit zuzuhören, sich in die Arbeit anderer hineinzudenken und alles zu verstehen. Er war ein „Salesman of Science“, der die Menschen für eine Mission begeistern konnte.

Die Atombombe hätte es auch ohne ihn gegeben (z. B. mit Ernest Lawrence als wissenschaftlichem Leiter), doch niemand verkörpert die Ambivalenz, die Mitschuld und Verantwortung des modernen Zauberlehrlings so wie Oppenheimer. Und so wurde er zum Stichwortgeber und zur Projektionsfläche von Atomwaffengegnern und -befürwortern gleichermaßen.

Doch Oppenheimer eignet sich nicht als amerikanischer Held, auch nicht als tragischer Antiheld. Zu zerrissen ist sein Charakter, zu widersprüchlich sein Handeln. Und so gelingt es Nolan zwar, den Zuschauer an die komplexen Lebens- und Zeitumstände Oppenheimers heranzuführen, er scheitert aber mit seinem Versuch, uns das Denken seines Protagonisten nahezubringen. Natürlich darf auch das abgegriffene Weltenzerstörer-Zitat nach dem Trinity Test nicht fehlen, das Oppenheimers Freund Isidor Rabi mit den Worten kommentierte: „Wenn er statt Sanskrit Hebräisch und den Talmud studiert hätte, dann wäre er ein viel besserer Physiker geworden.“

Oppenheimers militärisches Gegenüber, der auf ganz andere Weise eigensinnige General Leslie Groves, wird von Matt Damon verkörpert. Groves, der Erbauer des Pentagon, hat organisatorisch wesentlich zum Gelingen des amerikanischen Atombombenprojekts beigetragen, nicht nur am Standort Los Alamos. Dort waren zwar zeitweise rund 5000 Forscher (und nur sehr wenige Forscherinnen) versammelt, doch man sollte nicht vergessen, dass insgesamt rund 100.000 Menschen an Entwicklung und Herstellung der ersten Atombomben beteiligt waren. Nolan kann dies in seinem Film kaum thematisieren. Die enormen Anstrengungen zur Erzeugung des waffenfähigen Urans reduziert er auf eine Glasschüssel, die sich nach und nach mit Murmeln füllt. Groves ist im Wesentlichen Oppenheimers Sparringspartner für geschliffene Dialoge.

Die komplexen Frauengestalten in Oppenheimers Leben, allen voran seine Ehefrau Kitty und seine Affären Jean Tatlock und Ruth Tolman, bleiben im Film Staffage oder müssen wie im Fall von Tatlock zu den wenig offenherzigen Momenten beitragen.

Vom Casting bis zu technischen Einzelheiten (z. B. der Rope-Trick-Effekt während des Trinity-Tests und das Los-Alamos-Zyklotron) überrascht und überzeugt Nolan durch Detailtreue. Cillian Murphy verkörpert Oppenheimer mit großer Intensität. Robert Downey jr. stiehlt ihm aber die Schau mit seiner grandiosen Verkörperung seines Erzfeindes Lewis Strauss. Auch Benny Safdie überzeugt in der Rolle von Edward Teller, der mit der Entwicklung der Wasserstoffbombe zum Gegenspieler von Oppenheimer wird.

Nolan ist es anzurechnen, dass er kein bloßes kalkuliertes Überwältigungskino bietet. Allerdings ertränkt die sehr laute Musik von Ludwig Göransson oft genug die schnell geschnittenen Dialogsequenzen oder erzwingt Dramatik, die im Bild nicht zu sehen ist, schafft aber durchaus einen wirkungsvollen Kontrast beim Trinity-Test. Dessen Darstellung ist beeindruckend, vor allem, wenn man bedenkt, dass Nolan so weit wie möglich auf digitale Tricks verzichtet hat, aber nicht so wirkungsvoll und verstörend wie die von David Lynch in der Fernsehserie „Twin Peaks“ (2017, Staffel 3, Folge 8).

„Oppenheimer“ ist weder tiefgründige Charakterstudie noch bombastischer Actionthriller und wird vermutlich viele Kinogänger ob ihrer falschen Erwartungen enttäuschen. Das spricht allerdings mehr für als gegen den Film. Nolan inszeniert Oppenheimers Rolle bei Entwicklung und Einsatz der Atombombe durchaus als moralischen Eiertanz. Es ist aber diskutabel, ob er nicht doch in eine Heroisierungsfalle tappt und Oppenheimer zu einem „Galilei des 20. Jahrhunderts“ stilisiert, statt sich überzeugender zu positionieren.

Und sicher ist es fraglich, ob der tatsächliche Einsatz der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki ausreichend repräsentiert ist. Hier kann es lehrreich sein, sich einmal anzuschauen, wie anders und gleichzeitig wirkungsvoll sich der französische Regisseur Alain Resnais in „Hiroshima mon amour“ (1959) filmisch mit dem Schrecken der Atombombe auseinandersetzt.

Als Filmfigur war Oppenheimer bereits 1947 im ersten Spielfilm über das Manhattan-Projekt, „In the Beginning or the End“ von Norman Taurog zu erleben, allerdings ohne großen Erfolg bei Publikum wie Kritik. Eine siebenteilige BBC-Serie zeichnete im Jahr 1980 Oppenheimers Karriere detaillierter, aber auch konventioneller als Nolans Film nach.

Nolans Film lohnt eine kritische Betrachtung und ist sicher ein guter Startpunkt für lange Diskussionen, nicht nur der Ambivalenz von wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern gerade auch im Hinblick auf die nach wie vor bestehende atomare Bedrohung. Und er kann das Interesse schüren, sich mit Oppenheimer und der Geschichte der Atombombe gründlicher zu beschäftigen. Die umfangreiche Oppenheimer-Biographie, das 750.000 Wörter umfassende Protokoll seiner mehrwöchigen Sicherheitsanhörung und die komplexe Geschichte der Physik wie der Atombombe mit ihren vielen wichtigen Personen passen letztlich nicht in einen 3-stündigen Spielfilm, ohne dass die inhaltliche Dichte kritisch wird.

Dr. Michael Schaaf, Deutsche Internationale Schule Kapstadt
Alexander Pawlak
 

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