01.03.2022

Filmkritik: Wer wir waren

Wer wir waren, X Verleih AG, Deutschland 2021, Regie: Marc Bauder, 114 Min., 15,59 €, mehr Infos auf https://shop.x-verleih.de/wer-wir-waren

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Der Titel dieses Dokumentarfilms stammt vom posthum veröffent­lichten Buch des Publizisten Roger Willemsen (1955 – 2016), das seine „Zukunftsrede“ aus dem Jahr 2015 enthält. Darin sondiert er Zukunftsfähigkeit und -aussichten der gegenwärtigen Menschheit aus der Perspektive einer unbestimmten Zukunft. Das schmale Bändchen ist geprägt von Willemsens elegant-pointiertem Stil, treffend charakterisiert durch Sätze wie diesen: „Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.“

Im Film garnieren Willemsen-Zitate, gelesen vom Schauspieler Manfred Zapatka, die Porträts von sechs sehr unterschiedlichen Wissen­schaftler:innen, denen die Zukunft unseres Planeten sehr am Herzen liegt: der Geophysiker und Astro­naut Alexander Gerst, der Molekularbio­loge und buddhistische Mönch Matthieu Ricard, Ökonom Dennis Snower, Tiefseeforscherin Sylvia Earle, die Roboter­ethikerin Janina Loh und der Philosoph Felwine Sarr, Vertreter eines neuen afrikanischen Selbstbewusstseins.

Regisseur Marc Bauder, der sich durch Dokumentar- und Spielfilme zur Finanzwelt einen Namen gemacht hat, wählt bei seiner filmischen Porträt-Anthologie ein bedächtiges Tempo und liefert beeindruckende Ansichten von Natur wie Zivilisation. Man kommt den Dargestellten durchaus nah, erlebt sie kontemplativ oder im Dialog mit anderen, erfährt aber unterschiedlich viel über ihr Forschen und Denken. So bleibt das von Dennis Snower emphatisch vorgetragene Plädoyer für multilaterale Kooperation wenig greifbar. Seine Begegnung mit Angela Merkel auf dem Weltwirtschaftsforum ändert daran nichts.

Alexander Gerst trägt mit eigener Kameraarbeit zum Film bei und liefert beeindruckende Blicke auf die Erde und vom Alltag auf der Internationalen Raumstation. Doch die privilegierte Weltraumperspektive ist nach sechs Jahrzehnten bemannter Raumfahrt nicht mehr ganz so neu, entfaltet ihre Wirkung allerdings am besten auf der großen Leinwand.

Neugierig machen dagegen die Ausführungen von Janine Loh und Felwine Sarr, spätestens hier wünscht man sich, dass der Film eher eine sechs­teilige Doku-Serie geworden wäre. Loh überrascht mit ihrem posthumanistischen Ansatz für eine Ethik, die über den Menschen hinausweist, ihm aber dadurch gerade gerecht werden soll.

Die Ausstattung der DVD ist nicht allzu großzügig. Sie bietet neben dem deutschen Ton (andersprachige Beiträge sind deutsch untertitelt), eine deutsche Audiodeskription und deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Außerdem erhält man noch eine rund viertelstündige entfernte Episode mit dem Schweizer Physiker und Komplexitätsforscher James B. Glattfelder, die aber inhaltlich und von der Bildsprache diffus bleibt. Diese kündet von einer Welt aus dem Gleichgewicht, wie sie der Regisseur Ron Fricke schon 1983 in seinem bildgewaltigen Film „Koyaanisqatsi“ (1983) kommentarlos, aber sinnfälliger vorgeführt hat. Glattfelder zitiert zudem allzu sehr aus dem Buch "The Passion of the Western World" (1991) von Richard Tarnas.

Marc Bauders Film ist sicher sehenswert, aber er hält die Zuschauer auf Distanz und am Schluss bleibt der Wunsch, er hätte dem ganzen mehr Wucht und Dringlichkeit verliehen und wäre weniger der kontemplativen Melancholie von Roger Willemsens Worten gefolgt.

Alexander Pawlak

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