14.01.2011

Gustav Robert Kirchhoff - Das gewöhnliche Leben eines außergewöhnlichen Mannes

Klaus Hübner: Gustav Robert Kirchhoff – Das gewöhnliche Leben eines außergewöhnlichen Mannes Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2010, 312 S., geb., ISBN 9783897356061

Klaus Hübner

Einer der ersten großen Physiker in Deutschland, der Experimentalphysik und mathematische Physik (den Begriff theoretische Physik gab es noch nicht) ausführlich in Lehre und Forschung kombinierte, war Gustav Robert Kirchhoff (1824 bis 1887). Schon im vierten Studienjahr, in Königsberg 1845, wurde er weithin in der Physik bekannt, durch seine Herleitung der „Kirchhoffschen Regeln“ der Stromverzweigung. Nach einer kurzen Zeit als Privatdozent in Berlin nahm er mit 26 Jahren einen Ruf als Extraordi-narius für Physik nach Breslau an. Hier lernte er den 13 Jahre älteren Chemiker Robert Bunsen kennen (später hieß es scherzhaft: Bunsens größte Entdeckung in Breslau sei Kirchhoff gewesen). Mit ihm verband ihn bald eine tiefe lebenslange Freundschaft. Bunsen holte ihn 1854 nach Heidelberg, wo er auch endlich anständig bezahlt wurde.

In Heidelberg blieb Kirchhoff über 20 Jahre. Am Neckar verbrachte er die glücklichste Zeit seines Lebens, und mit der Begründung der Spektralanalyse in Physik, Astronomie und Chemie ab 1859, auf Anregung und unter Mitarbeit von Bunsen, auch seine fruchtbarste. Kirchhoff führte bei diesen Forschungen, parallel zur theoretischen Entwicklung seiner Strahlungsgesetze, eine Reihe meisterhafter Experimente durch, die Hübner in seinem Buch eingehend und eindrucksvoll schildert.

1875 ging Kirchhoff, von Hermann von Helmholtz gerufen, nach Berlin und blieb in der neuen Reichshauptstadt bis an sein Lebensende. Es war die erste Professur für „mathematische Physik“, die überhaupt eingerichtet wurde. Bezahlt wurde er noch einmal erheblich besser als in Heidelberg, fast fürstlich kann man sagen. Es entstanden noch 18 Veröffentlichungen über weit gestreute Themen.

Leider erfährt man im Buch von Klaus Hübner, wie schon bei der Spektralanalyse, wenig über die Bedeutung dieser Arbeiten im Umfeld der aktuellen Wissenschaft. Das private, akademische und organisatorische Leben Kirchhoffs wird andererseits, aus besonders reichem Quellenmaterial, sehr anschaulich geschildert. Besonders die Originalzitate lassen die Leser gut in die Zeit eintauchen.

Hübner ist mit seiner Biografie in eine wesentliche Lücke der Geschichtsschreibung zur Physik des 19. Jahrhunderts gestoßen. Aber schließen konnte er sie nur zum Teil. Ein großes Manko der gesamten Arbeit ist: Es gibt schon einiges an Literatur über den Beginn der theoretischen Physik und auch über das Umfeld der Spektralrevolution ab 1859. Hübner straft aber all diese, vor allem englischsprachigen, Publikationen mit Nichtbeachtung, etwa Oleskos Buch von 1991 über das mathematisch-physikalische Seminar in Königsberg oder die zweibändige Studie von Jungnickel und McCormmack von 1986 über die Entwicklung der theoretischen Physik von Ohm bis Einstein. Er hält sich ausschließlich an die Primärquellen.

Noch ein Hinweis sei erlaubt: Die gesammelten Abhandlungen Kirchhoffs in zwei Bänden von 1882 und 1891 gibt es seit neuestem als Taschenbuch-Reprint zu kaufen.

Prof. Dr. Jürgen Teichmann,
Deutsches Museum und Ludwig-Maximilians-Universität München

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