24.06.2003

Ideengeschichte der Physik

Von W. Kuhn. Vieweg, Wiesbaden 2001, gebunden, X + 512 S., ISBN 3528069716

Kuhn

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Das Buch soll (S. 442) „einen Beitrag zu der ... Einbindung der Physik in die Kulturgemeinschaft ... leisten“. Hierzu dienen seinem Autor Ideen, welche die Naturforscher seit den frühesten Philosophen vor Sokrates geleitet, und in deren Theorien sie Triumphe gefeiert haben. Man denke nur an die Idee der Symmetrie, die Ideen diskreter/kontinuierlicher Substanzen sowie an jene, dass es einen leeren Raum geben/nicht geben kann. Oder an die Ideen eines endlichen/unendlichen Raumes.

Die verschiedenen Ideen zu jeweils demselben Gegenstand der Physik dienen Kuhn als Leitlinien bei seinem Weg durch Jahrtausende physikalischen Denkens. Anders als sein Namensvetter Thomas Kuhn sieht er auch bei, wie Thomas Kuhn formuliert hat, Paradigmenwechseln keinen Bruch mit der Vergangenheit, sondern Weiterentwicklung. Die Ideen der Antike und des Mittelalters, die in zwei einleitenden Kapiteln des Buches dargestellt werden (Das Weltbild der Antike, Naturwissenschaft im Mittelalter), betreffen von den Themen auch der heutigen Physik vor allem den Kosmos und die Bewegung.

In den drei anschließenden Kapiteln (Astronomie der Neuzeit, Die Genesis der klassischen Physik, Analytische Mechanik) beschreibt Kuhn ihre Weiterentwicklung von Ptolemäus über Kopernikus, Kepler, Descartes, Galilei, Huygens, Newton, Euler und Lagrange bis zu dem deterministischen Chaos Poincares. Wieder aufgenommen werden die Themem Kosmos und Bewegung im zehnten Kapitel „Relativität und Raumzeitstruktur“ sowie im abschließenden fünfzehnten „Kosmologie“. Hier, wie überall, weist Kuhn durch Ausblicke und Rückblicke nachdrücklich auf die Kontinuität der Ideengeschichte der Physik hin.

Beginnend mit den antiken Vorstellungen vom Sehen, leiten die "Entwicklungslinien der Optik" im kurzen sechsten Kapitel über zur Korpuskular- sowie Wellentheorie des Lichtes und den Schwierigkeiten, die es bereitete, Licht als Schwingung einer Substanz namens Äther aufzufassen. Parallel dazu verliefen Bemühungen, die Wirkungen der Mag netsteine und des geriebenen Bernsteins zu verstehen (Kapitel 7: Ladungen und Ströme), die in Maxwells vereinigter Theorie von Elektrizität, Magnetismus und Licht gipfelten (Kapitel 8: Das elektromagnetische Feld).

Das neunte Kapitel „Die Entwicklung der Thermodynamik“ leitet von dem Element Feuer der antiken Naturforscher sowie der Phlogiston-Theorie der Wärme des 17. Jahrhunderts über zu der Vorstellung, Wärme sei Bewegung. Dargestellt wird sowohl die Entwicklung der phänomenologischen als auch die der statistischen Wärmelehre. Das Kapitel endet mit einem Essay über die philosophischen Aspekte der Statistischen Thermodynamik. Beginnend mit Plancks Quantenhypothese, beschreibt das elfte Kapitel „Quanten und Atome“ die frühen Versuche Einsteins, Rutherfords, Bohrs, de Broglies und anderer, Resultate der experimentellen Atomphysik zu verstehen. Der Quantenmechanik und deren Deutungsproblemen sind die Kapitel zwölf bis vierzehn (Quantentheoretische Umdeutung der mechanischen Prinzipien, Quantisierung als Eigenwertproblem, Deutungsprobleme der Quantenmechanik) gewidmet.

Verglichen mit Büchern zur Geschichte der Physik, die von Historikern geschrieben wurden, zeichnet sich das Buch des emeritierten Physikdidaktikers Wilfried Kuhn vor allem durch zweierlei aus. Erstens dienen physikalische Ideen statt historischer Abfolgen als Leitlinien. Zweitens, und wichtiger, wird auch die Physik selbst in ihren verschiedenen historischen Ausprägungen dargestellt. Dankenswerterweise so, wie wir sie heute verstehen, mit einfachen Gleichungen. Ein Beispiel bilden die Ableitungen von Brechungsgesetzen aus Extremalprinzipien (ab S. 256).

Gefreut und beschäftigt haben mich gelegentliche Originalzitate ohne Übersetzung in französischer sowie italienischer Sprache. Aus dem Griechischen stammende philosophische Begriffe werden auch im Original angeführt. Zahlreiche, sonst kaum zugängliche Zitate und biografische Schilderungen vermitteln einen unmittelbaren Eindruck in das Denken der Naturforscher im Laufe der Jahrtausende. Durch die zugehörigen Quellenangaben ist das Buch auch eine Fundgrube für weitergehende Orientierungen. Laut Buchinformation des Verlages wendet es sich an (a) Studenten, Lehrer, Dozenten Lehramt Physik sowie (b) Diplom-Studenten [...]. Obwohl ich keiner dieser Zielgruppen angehöre, habe ich mit Vergnügen und Gewinn in ihm gelesen.

Prof. Dr. Henning Genz,
Institut für Theoretische Teilchenphysik, Universität Karlsruhe

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