Karl Wirtz - Leben und Werk
Hermann, A.
Die Karlsruher Auftraggeber dürften mit dieser Biografie ihre Erwartungen weitgehend erfüllt sehen: Aus bescheidenen Anfängen (ein Kapitel trägt die Überschrift „Mit dem Fahrrad ins Atomzeitalter“) entsteht vor dem geistigen Auge des Lesers allmählich die deutsche Kerntechnik. Vom Mitarbeiter Heisenbergs im „Uranverein“ und später im Göttinger Max-Planck-Institut für Physik avanciert Wirtz zum Direktor des Instituts für Neutronenphysik und Reaktortechnik der Karlsruher „Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft“, die den Aufbau des ersten deutschen Forschungsreaktors betreibt. Animositäten und Rivalitäten bleiben nicht ausgespart, etwa mit Otto Haxel oder Christian Gehrtsen, aber dies verleiht der Darstellung nur die nötige Würze und trübt nicht den Tenor einer Erfolgsgeschichte, wie man sie nach einem halben Jahrhundert (west)deutscher Kerntechnik in Karlsruhe lesen möchte.
Dem Zweck und Anlass zufolge darf es nicht verwundern, dass mit der biografischen Würdigung von Wirtz ein recht einseitiges Bild deutscher Kerntechnikentwicklung einhergeht. Hermann bezieht sich fast ausschließlich auf die von ihm zum „Standardwerk“ erkorene „Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland“ aus der Feder von Wolfgang D. Müller, dem langjährigen Chefredakteur der „Atomwirtschaft“. Literatur von Historikern, die sich kritisch mit der Kernenergieentwicklung auseinandersetzten (z. B. Joachim Radkau), wird ignoriert. Ebenso wenig erfüllt werden Erwartungen von Lesern, die sich Einsichten in die kernphysikalischen Arbeiten von Karl Wirtz erhoffen.
Noch weniger erfüllt die Biografie wissenschaftshistorische Ansprüche. In vielen Fällen ist nicht klar, woher als Zitate ausgewiesene Textpassagen stammen. So habe sich Wirtz nach dem Einzug der Diebnerschen Gruppe in das Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik abfällig über die „Nazis im Institut“ geäußert – was wohl die anti-nationalsozialistische Haltung von Wirtz unterstreichen soll (S. 44). Aber wir erfahren nicht, woher dieses Zitat stammt und ob es sich um eine zeitgenössische oder rückblickende Äußerung handelt. An anderer Stelle wird ein Textzitat mit dem Kommentar versehen: „Wir haben uns eine kleine stilistische Korrektur gestattet“, ohne dass die Art dieses Eingriffs begründet oder erklärt wird (S. 209). Im einzelnen mag es sich um belanglose Kleinigkeiten handeln, aber in der Summe erweckt ein solcher Umgang mit Zitaten den Verdacht, dass der Autor darin nur ein Mittel sieht, um eigene Auffassungen im Gewand historischer Authentizität zu präsentieren.
Dr. Michael Eckert, Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften, Universität München
A. Hermann: Karl Wirtz - Leben und Werk
Schattauer GmbH, Stuttgart, 2006,
222 S., geb.