26.11.2025 • Let's get physical!

Let's get physical! – Rush: Cygnus X-1 (Book One – The Voyage)

Rush, Cygnus X-1 (Book One – The Voyage), auf: Farewell to Kings, Mercury, 6338 834 (1977)

Alexander Pawlak

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Mit Beginn der 1970er-Jahre wagten sich die Bands der „progressiven Rockmusik“ an Themen jenseits von „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“, etwa heilige indische Schriften (Yes: Tales of Topographic Oceans, 1973), die Offenbarung des Johannes (Aphrodite’s Child, 666, 1972), Tod und Wahnsinn (Pink Floyd, Dark Side of the Moon, 1973) oder gar Mythen fiktiver Planeten, wie auf den Alben von Bands wie Gong und Magma.

Auch das kanadische Rock-Trio Rush versuchte sich zu Beginn seiner Karriere an Song-Zyklen mit übergreifendem Thema, wie eine mythischen Lebensreise von Geburt zum Tod („The Fountain of Lamneth“, 1975) oder den Aufstand gegen eine Diktatur in der Zukunft („2112“, 1976). 1977 überraschten sie mit einer langen Komposition, die sich mit der Röntgenquelle Cygnus X-1 im Sternbild Schwan befasst. Genauer gesagt, geht es darin um eine Reise bzw. den Sturz eines Raumschiffs in das Schwarze Loch, das dort vermutet wurde.

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So schrieb der theoretische Physiker Roman Sexl 1975 in den Physikalischen Blättern: „Zu den aufregendsten Entdeckungen der letzten Jahre gehört die – zumindest sehr wahrscheinliche – Auffindung eines schwarzen Loches mit etwa zehnfacher Sonnenmasse im Sternbild des Schwanes (Cygnus XI)“. Zu den Astronomen, die überzeugende Hinweise lieferten, dass es sich bei Cygnus X-1 um ein Schwarzes Loch handeln könnte, gehörte Tom Bolton (1943 – 2021) von der Universität in Toronto, der Stadt, in der Gitarrist Alex Lifeson im Jahr 1968 die Band Rush gegründet hatte. In der klassischen Besetzung Lifeson, Geddy Lee (Gesang, Bass) und Neil Peart (Schlagzeug, Texte) sollte die Band von 1974 an vier Jahrzehnte Bestand haben.

Der überragende Schlagzeuger Neil Peart war an Science Fiction ebenso interessiert wie an den Naturwissenschaften, was sich in den Song-Texten, für die er in der Band zuständig war, oft genug zeigte. Über Cygnus X-1 hatte er im Time-Magazin gelesen und sich weiter durch Lektüre im „Scientific American“ informiert, möglicherweise im mittlerweile klassischen Artikel The Search for Black Holes (Dezember 1974) des späteren Physik-Nobelpreisträgers Kip Thorne.

Da passte es gut, dass Rush sich vom geradlinigen Hardrock wegentwickeln wollte, hin zu längeren Songs, die ein musikalisches Kopfkino entfalten. Dafür ist „Cygnus X-1“ wohl das beste Beispiel.

Der über zehnminütige Track beginnt mit einer atmosphärischen Klangcollage, in der die extrem verfremdete Stimme des Rush-Produzenten Terry Brown zu hören ist:

In the constellation of Cygnus, there lurks a mysterious, invisible force: the Black Hole Of Cygnus X-1.
Six Stars of the Northern Cross In mourning for their sister’s loss In a final flash of glory, nevermore to grace the night.

Erst nach einer perkussiven und riffdominierten Passage setzt Geddy Lee mit seinem Gesang ein und erzählt die Geschichte des Raumschiffs „Rocinante“ und seiner Reise ins dunkle Herz von Cygnus X-1.

Der Anflug bringt in einem weiteren Instrumentalteil die Synthesizer ins Spiel. Damit hatte das Trio seine Klangpalette erweitert – nicht nur im Studio, sondern auch live. Lee wurde somit Leadsänger, Bassist und Keyboarder in Personalunion. Sein Diskant markiert schließlich den Sturz des Raumschiffs ins Schwarze Loch.

Künstlerische Darstellung von Cygnus X-1
Künstlerische Darstellung von Cygnus X-1
Quelle: NASA/CXC/M.Weiss

„Es gibt verschiedene Theorien über Cygnus X-1“, erklärte Peart 1994 in einem Interview: „Meine Lieblingstheorie ist, dass es ein Riss in unserer Dimension, unserem Universum ist, der zu etwas anderem führt. […] Ich denke, das ist Science Fiction in ihrer besten Form: Sie lässt der Fantasie freien Lauf. Es gibt keine Grenzen.“

Dass im Song der Sturz ins Schwarze Loch nicht notwendigerweise das Ende bedeutet, darauf deutet schon der Zusatz „(Book One – The Voyage)“ im Titel und der Hinweis „to be continued“ auf dem Album-Cover hin. Tatsächlich beginnt das ein Jahr später veröffentlichte Album „Hemispheres“ mit der 18-minütigen Fortsetzung „Cygnus X-1 (Book Two – Hemispheres)“.

Darin begibt sich Peart textlich in die griechische Götterwelt und befasst sich mit dem ewigen Widerstreit von Herz und Verstand. Das musikalische Sequel ufert allzu sehr aus und erreicht nicht die stimmige „filmische“ Qualität des ersten Teils. Das Raumschiff Rocinante scheint den Sturz ins Schwarze Loch überstanden zu haben und den Olymp erreicht zu haben. Dort erheben die Götter den Piloten zu „Cygnus, dem Gott des Ausgleichs“.

Dass der Röntgen-Doppelstern Cygnus X-1 ein stellares Schwarzes Loch beherbergt, gilt mittlerweile als gesichert, nicht zuletzt da seine anfangs geschätzten 10 Sonnenmassen zu groß für einen Neutronenstern sind. 2021 stellte sich heraus, dass Cygnus X-1 deutlich weiter von der Erde entfernt ist als bislang angenommen – etwa 7200 anstatt der anfangs geschätzten 6100 Licht­jahre – und mit über 20 statt 10 Sonnenmassen deutlich massereicher als bis dahin angenommen. 

Die Band Rush begab sich zum 40-jährigen Bestehen in den Jahren 2014/15 ein letztes Mal mit Neil Peart auf Welttournee, der am 7. Januar 2020 an einem Gehirntumor starb. Damit endet aber die Geschichte der Band nicht, die sich in ihren Songs immer wieder mit der Wissenschaft und ihren Auswirkungen befasste, etwa in Natural Science (1980), Chemistry (1982) oder Manhattan Project (1985).

Zusammen mit der deutschen Schlagzeugerin Annika Nilles und durch einen Keyboarder verstärkt gehen Lifeson und Lee 2026 wieder auf Tour. Der Wissenschaftsbezug ist dabei eher vordergründig: Die Ticketpreise sind astronomisch.

Alexander Pawlak

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