Lichtquanten
Hentschel: Lichtquanten, Springer-Spektrum, Heidelberg 2017, brosch., 305 S., 34,99 €, ISBN 9783662552728
K. Hentschel
Das ist hoch erfreulich, denn es handelt sich nicht nur um ein wichtiges Konzept, sondern zusätzlich um eines, das von Mythen und Missverständnissen umrankt ist. Viele Lehrbücher zeichnen eine direkte Entwicklungslinie von Einsteins Lichtquanten-Hypothese bis zum Photon der aktuellen Quantenfeldtheorie (QFT). In der Wissenschaftsgeschichte ist seit langem bekannt, dass diese Darstellung grobe Fehler enthält, denn wie bei anderen wissenschaftlichen Konzepten auch, haben beim Photon zahlreiche Brüche und Wandlungen der Begriffsbedeutung stattgefunden.
Wie müsste die Geschichte des Photons aber stattdessen erzählt werden? Hentschel unternimmt den Versuch, eine kombinierte Begriffs- und Ideengeschichte zu schreiben, bei der philologische, kognitionspsychologische und wissenschaftshistorische Zugänge beitragen. Er unterscheidet dabei verschiedene „semantische Schichten“ des Konzepts, die in einem komplexen Prozess des Anreicherns erst allmählich zum Ausformen des Begriffs führen. Zusätzlich führt Hentschel „mentale Modelle von Lichtquanten“ ein. Das sind Repräsentationen im Bewusstsein der Akteure, wie sie in der Forschungspraxis wirksam waren und sind.
Auf diese Weise entsteht ein sehr differenziertes Bild der frühen Entwicklung. Hentschels Absicht ist es jedoch, die Begriffswandlungen bis zur aktuellen QFT zu verfolgen. Gemessen an diesem Anspruch erscheint aber die einzige „semantische Schicht“ (Abschnitt 3.12: „Das Photon als virtuelles Austauschteilchen der QED“), die diese Entwicklungen berührt, als zu oberflächlich. Stichworte wie „kanonische Quantisierung“ oder „Besetzungszahldarstellung“ bleiben unerwähnt. Stattdessen nimmt Hentschel direkt auf die Störungstheorie Bezug. Die in diesem Zusammenhang instruktive Diskussion zwischen Feynman und Dyson zur Interpretation von Feynman-Graphen übergeht er leider. Hentschel rezipiert insgesamt die philosophische Debatte zur Interpretation von Quantenfeldtheorien recht unvollständig und bündelt die im Text verstreuten Hinweise dazu nicht. Im besagten Abschnitt (3.12) kommt es zusätzlich zu einigen fachlichen Ungenauigkeiten. Was genau unter einem virtuellen Teilchen zu verstehen ist, bleibt zum Beispiel unklar. Das vierte Kapitel stellt mentale Modelle vor bzw. versucht, diese anhand von Quellen zu rekonstruieren. Bedauerlich ist, dass Hentschel sich hier nur auf „frühe Akteure“ (bis 1926) beschränkt.
Im achten Kapitel gibt Hentschel eine kenntnisreiche Diskussion von vielen Experimenten der Quantenoptik. Wenn er dann im abschließenden Kapitel fragt, wie unser heutiges mentales Modell des Photons aussehen muss, formuliert er einen sehr überzeugenden Vorschlag, der auch durch diese aktuellen Ergebnisse geprägt ist. Dieses Kapitel berührt etwa mit der Debatte zur Lokalisierbarkeit von Photonen (9.3) auch Fragen, die eigentlich eine eigene „semantische Schicht“ im dritten Kapitel verdient hätten. Ein Hinweis auf beispielsweise die wichtige Arbeit von Newton und Wigner (1949) zur Nichtexistenz eines Ortsoperators für Photonen fehlt jedoch.
Die erwähnten Auslassungen sind zum Teil wohl der Tatsache geschuldet, dass Hentschel eine breite Leserschaft ohne Spezialkenntnisse im Auge hat. Er hat ein wichtiges Buch geschrieben, dem man viele Leser wünscht, nicht zuletzt Lehrer und Lehrerinnen der Physik.
Dr. Oliver Passon, Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften, Bergische Universität Wuppertal