21.03.2007

Manfred von Ardenne. Selbstverwirklichung im Jahrhundert der Diktaturen

G. Barkleit: Manfred von Ardenne. Selbstverwirklichung im Jahrhundert der Diktaturen Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2006, 396 S., geb., ISBN 9783428120840

Barkleit, G.

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Manfred von Ardenne gehört sicherlich zu den schillerndsten Forscherpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Als wissenschaftlicher Autodidakt, der über ein viersemestriges Physikstudium nicht hinausgekommen ist, hat er mit brillianten Erfindungen – von der Dreifachröhre über elektronisches Fernsehen und Rasterelektronenmikroskop bis zum Duoplasmatron – die moderne Wissenschafts- und Technikgeschichte maßgeblich beeinflusst und sich darüber hinaus als Erfinder-Unternehmer etablieren können. Als solcher wusste er sich zudem mit chamäleonartiger Geschmeidigkeit den jeweiligen politischen Systemen anzudienen und sich sowohl im Dritten Reich als auch in der DDR zu behaupten.

Dies alles lässt eine spannende Biografie erwarten, dem die vorliegende Darstellung des Dresdener Physikhistorikers Gerhard Barkleit aber nur in Teilen gerecht wird. Obwohl dieser exklusiven Zugang zum Nachlass Ardennes hatte, erfährt man relativ wenig über Ardennes Persönlichkeit und ihr Faszinosum, das zudem kaum eine tiefergehende Entschlüsselung erfährt; gleiches gilt für Ardennes konkreten Handlungsmotive, die ihn schon als Halbwüchsigen unabhängige Wege gehen ließen, ihn aber auch in eine bedenkliche Nähe zur Macht und den Mächtigen seiner Zeit brachten. Die Widersprüche in der Lebensgeschichte Ardennes wie auch sein politischer Opportunismus werden so nur allzu selten auf den Punkt gebracht.

Hier hätte man sich eine stärkere kritische Distanz des Biografen gegenüber seinem Gegenstand gewünscht; zumal es erstaunt, wenn im Nachwort die Söhne Ardennes sehr viel deutlichere und kritischere Worte zur Position Ardennes in der DDR finden als die Biografie selbst. Für diese scheint vielmehr der Titelbegriff „Selbstverwirklichung“ symptomatisch, der nach Ansicht des Rezensenten mit seiner positiven Konnotation nicht nur irreführend, sondern auch allzu beschönigend für Ardennes Handlungsmuster ist, denn diese haben ihn allzu häufig auch zum Handlanger der Macht werden lassen – nicht zuletzt in der DDR, aber nicht nur dort.

Problematisch ist ebenfalls, dass Ardennes wissenschaftliches Wirken in der DDR und insbesondere seine Beiträge zur Medizin – hier vor allem die nach wie vor umstrittene Krebs-Mehrschritt-Therapie – vergleichsweise breiten Raum einnimmt. Dagegen hätte man sich (noch) mehr Informationen zu Ardennes frühen Forschungen und Erfindungen, insbesondere jenen zur Kernphysik und Elektronenmikroskopie sowie deren physikhistorischen Kontext gewünscht. Hier wie auch an anderen Stellen verwundert zudem der Umgang mit Sekundärquellen. So sucht man beispielsweise die Standardwerke zum deutschen Uran- bzw. sowjetischen Atombombenprojekt von Mark Walker, David Holloway oder Richard Groves im Literaturverzeichnis vergeblich; auch hätte eine Bibliografie der Schriften Ardennes das Buch vorteilhaft ergänzt.

Obwohl die vorliegende Biografie in einigen Punkten nicht den Standards entspricht, den man vor dem Hintergrund moderner Biografieforschung an eine solche zu stellen hat, sei ihre (kritische) Lektüre dennoch empfohlen, macht sie uns doch nicht nur mit einer Ausnahmeerscheinung deutscher Wissenschafts- und Technikgeschichte bekannt, sondern regt vor allem dazu an, einmal ganz konkret über die vielfältigen Dimensionen vermeintlich „technokratischer Unschuld“ nachzudenken.

Prof. Dr. Dieter Hoffmann,
Max-Planck-Institut, für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
 

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