28.05.2024

Tycho Brahes Weg zu Gott

Max Brod, Tycho Brahes Weg zu Gott, Wallstein, Göttingen 2020, geb., 29,90 Euro, ISBN 9783835313347

Max Brod

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Vor hundert Jahren, am 3. Juni 1924, starb Franz Kafka, der sicher einer der prägenden Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist. Das verdankt er nicht zuletzt seinem Freund und Nachlassverwalter Max Brod (1884 – 1968), der sich über Kafkas Wunsch hinwegsetzte, dessen Manuskripte nach seinem Tod zu vernichten.

1916 erschien Kafkas Novelle „Die Verwandlung“, das am nachhaltigsten zu Lebzeiten rezipierte Werk, erstmals in Buchform. So gut wie zeitgleich erschien auch Max Brods erster Roman „Tycho Brahes Weg zu Gott“, der das für die Geschichte der Astronomie so wichtige Aufeinandertreffen von Tycho Brahe und Johannes Kepler in Schloss Benatek bei Prag zum Thema hat. Brod widmete das Buch „Meinem Freund Frank Kafka“, der sich darüber sehr gefreut hat.

Der Wallstein-Verlag hat diesen Roman in einer schönen Hardcover-Ausgabe im Rahmen von Max Brods Ausgewählten Werken wieder verfügbar gemacht. Davor war es zuletzt 1984 als Taschenbuch bei Suhrkamp erschienen und enthielt ein Nachwort von Stefan Zweig zur Neuausgabe von 1927. Dies ist nun das Vorwort, ein instruktives Nachwort stammt vom Germanisten Roland Reuß.

Brods Roman des ungleichen Paares Brahe und Kepler lässt an Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt denken“. Doch wo Kehlmann Gefahr läuft, Alexander von Humboldt und Carl-Friedrich Gauß zu Witzfiguren zu degradieren, ist Brod seinen beiden Protagonisten bei all ihrer Unterschiedlichkeit stärker zugetan. Sein Brahe zielt als Forscher einerseits und durchaus modern auf größtmögliche Präzision, aber er ist andererseits nicht frei von den religiösen und politischen Einflüssen seiner Zeit. Brod schildert ihn als eingefleischten Familien- und Machtmenschen, wobei Brahes überlieferter rücksichtsloser Umgang mit seinen Untergebenen kein Thema ist. Dafür spielt der Konflikt mit seinem Mitarbeiter Frans Tengnagel eine größere Rolle, der von Brahe vom Schloss Benatek vertrieben wird, obwohl ihn Brahes Tochter Elisabeth liebt.

Brahe nennt Kepler „seinen Benjamin“ und projiziert die größten Hoffnungen auf den deutlich jüngeren Kollegen. Der wirkt jedoch abweisend, leidenschaftslos und undiplomatisch. Ihm fehlt der Sinn für die Erfordernisse des Alltags, er bleibt für alle eine Sphinx, die sich allein für die umfangreichen Daten begeistern kann, die Brahe bei seinen Beobachtungen gewonnen hat. „Nun vielleicht stimmen die Naturgesetze eben nur ungefähr“, sagt Kepler, der bei den Unsicherheiten, an denen Brahe verzweifelt, Stärke gewinnt.

Der gottesfürchtige Brahe macht dagegen aus seinem Herz keine Mördergrube. Brod breitet dessen euphorischen wie zweifelnden Monolog aus, lässt aber nicht ins Innere von Kepler schauen. Der mag seinem protestantischen Glauben nicht abschwören, er erstellt wie Brahe Horoskope, aber letztendlich ist er der vorurteilsfreien wissenschaftlichen Erkenntnis verpflichtet, statt das Tychonische Weltsystem zu stützen, das unentschieden zwischen Ptolemäus und Kopernikus steht.

Es scheint gut zu passen, dass Brod als Vorbild für die Figur des Kepler Albert Einstein nennt, den er in Prag kennengelernt hatte. (Auch Kafka soll Einstein getroffen haben, aber das war wohl nur eine flüchtige Begegnung ohne Nachwirkung.) Doch dies bekannte Brod erst Jahrzehnte später in der Rückschau und es führt bei der Lektüre des Romans eher in die Irre. „[D]essen konkrete Gestalt [ist] erst noch dem Verständnis zuzuführen“, betont Reuß abschließend in seinem Nachwort.

Max Brods Buch ist sicherlich kein Tatsachenroman, der heutigen Lesegewohnheiten entspricht. Doch die Lektüre lohnt sich schon wegen des ungleichen Paares Brahe und Kepler. Die starken Kontraste machen den weitreichenden Umbruch in der damaligen Wissenschaft nachempfindbar, der durch Keplers zentrales Werk „Astronomia Nova“ (1609) markiert wird. Mit der thematisierten Abhängigkeit der Wissenschaft von religiö­sen und weltlichen Mächten zielt Brods Roman sicher auch auf die Gegenwart.

Alexander Pawlak

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