Moderne Physik
Tipler, Llewellyn
P. A. Tipler und R. A. Llewellyn, Oldenbourg, München 2003. 964 Seiten, ca. 500 Abb., Hardcover, 69,80 E. ISBN 3-486-25564-9 (bestellen)
Diese bearbeitete Übersetzung eines bewährten amerikanischen Lehrbuchs nimmt man gerne und gespannt zur Hand. Gerne, weil es trotz seines Umfangs handlich ist und handwerklich hervorragend gemacht ist. Gespannt, weil man neugierig ist, was der renommierte Didaktiker Paul Tipler und sein Mitautor unter moderner Physik verstehen und wie sie den Stoff behandeln. Man stellt rasch fest, dass mit moderner Physik diejenige des letzten Jahrhunderts gemeint ist. Etwa die Hälfte des Buches ist eine Einführung in die großen Theorien des 20. Jahrhunderts, spezielle Relativitätstheorie und Quantenmechanik inklusive ihrer Anwendungen in der Atomphysik. Es ist fraglich, ob dies angesichts der Fülle vorhandener Lehrbücher jeden Schwierigkeitsgrades notwendig ist. Interessanter ist deshalb die zweite Hälfte, in denen Molekül-, Festkörper-, Kern-, Teilchen- und Astrophysik kompakt dargestellt sind. Bemerkenswert ist ein eigenes Kapitel über Statistische Physik, das aktuelle Anwendungen der Quantenstatistik nicht ausspart.
Das Besondere des Buches besteht in dem Versuch, passend zum amerikanischen College-System eine Darstellung ohne größere mathematische Ansprüche für Dritt- und Viertsemester zu liefern. Zwar ist es beeindruckend, wie weit die Autoren mit didaktischem Geschick dabei kommen, man merkt aber bald, dass die Stoffauswahl auch unter dem Gesichtspunkt einer einfachen Darstellbarkeit getroffen wurde, was gelegentlich zu Lasten der Ausgewogenheit geht. Wie sonst wäre z. B. der Verzicht auf die Herleitung der Rutherford-Streuformel zu verstehen?
Hinzu kommt der weitgehende Verzicht auf die Darstellung experimenteller Methoden. Was danach übrig bleibt ist im Wesent lichen eine anschauliche Präsentation von Ergebnissen, darunter auch durchaus modernen, unter Verzicht auf ein tieferes Verständ nis der Hintergründe und Methoden, sozusagen eine "Physik light"- wie Cola ohne Koffein und Zucker. Diese Kritik trifft nicht den Verlag, der sich allerdings fragen lassen muss, ob man unseren Studierenden mit einer Übersetzung aus dem Amerikanischen einen Gefallen erweist, wo sie sich doch gerade mit einem solchen Buch quasi nebenbei in die Lingua franca unseres Faches einarbeiten könnten. Noch weniger trifft sie die Übersetzerin und die fachkundigen Bearbeiter dieses Buches, die auch bei der Aktualisierung des Inhalts gute Arbeit geleistet haben.
Zur Begleitung von Vorlesungen ist das Buch alle Male geeignet, bereitet es doch einen intuitiven und nicht selten ver gnüglichen Einstieg in Themen der modernen Physik. Die vielen Beispiele und die nach Schwierigkeitsgraden geordneten Übungen, meist Rechenaufgaben zu den angegebenen Formeln, bieten zudem eine willkommene Gelegenheit, sich nützliche quantitative Vorstellungen zu erarbeiten. Und ein wesentliches Ziel, nämlich Studienanfänger neugierig auf mehr zu machen, wird mit diesem Buch ganz sicher erreicht.
Prof. Dr. Gerhard J. Wagner, Physikalisches Institut, Eberhard-Karls-Universität Tübingen