24.09.2012

Ökonophysik

Tobias Preis: ­Ökonophysik, Gabler, Wiesbaden 2011, 212 S., brosch., 49,95 €, ISBN 9783834926715

Tobias Preis

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Seit Jahren suche ich ein geeignetes Lehrbuch zur Ökonophysik und war erfreut, dass mit Tobias Preis ein Schüler des Altmeisters der Econophysics H. E. Stanley ein Buch mit diesem Titel herausgebracht hat. Um es vorwegzunehmen, meine Erwartungen wurden leider nur zum Teil erfüllt. Zwar beginnt das Buch im ersten Kapitel vielversprechend mit einem historischen Abriss der Entwicklung des Gebietes von den frühen Arbeiten Osborns und Mandelbrots über das mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Werk von Black und Scholes bis zu moderneren Ansätzen bei Stanley und Helbig, aber mit Erwähnung der Namen und einiger Grundbegriffe und Zitate ist es dann auch schon getan. Die Ansätze werden leider nicht näher beschrieben oder gar in Formeln gefasst. Auf die allgemeinen Grundlagen der Finanzmarkt­theorie geht der Autor zwar in den folgenden beiden Kapiteln noch ein, konzentriert sich dann aber auf das von ihm wohl selbst entwickelte „Orderbuchmodell“. Andere Modelle werden lediglich zu Vergleichszwecken erwähnt. Dass dabei gerade der Bezug zur physikalischen Modellbildung zu kurz kommt, ist sehr bedauerlich.

Allerdings ist dem Werk zugutezuhalten, dass die technischen Mechanismen der Preisbildung auf Finanzmärkten im Rahmen des Orderbuchmodells klar dargestellt sind. Ich bin dem Autor dafür sehr dankbar und werde seine Darstellung auch in meine eigene Vorlesung einfließen lassen. Jedoch erfordert ein Werk, das dem Titel „Ökonophysik“ gerecht werden will, eben auch eine entsprechende Modellierung der psychologischen und soziologischen Aspekte. So fehlen Modelle zur Meinungsbildung der Finanzmarktteilnehmer, die sich z. B. auf eine Analogie zum Ising-Modell, d. h. zu Ferromagnetismus bzw. Spinglastheorie, stützen. Ebenso vermisst man die Methoden der nichtlinearen Dynamik zur Entstehung von Finanzmarktkrisen oder die zwar kontroverse aber interessante Diskussion bezüglich einer Analogie zwischen Finanzmarkt­dynamik und turbulenten Kaskaden.

Grundsätzlich verbleibt das Werk eher auf der deskriptiven Ebene, statt ein tieferes Verständnis der zugrundlegenden Dynamik zu vermitteln, was meiner Meinung der wesentlichste Beitrag der Ökonophysik zur Theorie der Finanzmärkte ist. Insgesamt hatte ich den Eindruck, ich hätte es hier mit einer Abschlussarbeit zu einem Teilaspekt der Finanzmarkttheorie zu tun, und nicht, wie es der Titel nahelegen würde, mit einer umfassender Darstellung des aktuellen Standes der Ökonophysik, geschweige denn mit einem Lehrbuch. Dies würde dann auch das bedauerliche Fehlen eines Registers und Glossars erklären.

Bleibt die Frage, wer Nutzen aus dem Werk ziehen kann. Der Physiker wird wegen des fehlenden Bezugs zu physikalischen Analogmodellen wenig Anlass sehen, sich aufgrund dieses Werkes mit der Ökonophysik näher zu beschäftigen. Wirtschaftwissenschaftler, an die sich der Verlag in erster Linie wendet, werden hingegen direkt verwertbare, aus dem vorgestellten Modell abgeleitete Aussagen zur Finanzmarkttheorie und -praxis vermissen. Es wäre wünschenswert, das Werk in beide Richtungen zu erweitern.

Dr. Wichard J. D. ­Beenken, Technische Universität Ilmenau

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