Operation Epsilon
Dieter Hoffmann (Hrsg.): Operation Epsilon, GNT-Verlag, Diepholz, Berlin 2023, 588 S., geb., 44,80 Euro, ISBN 9783862251117
Dieter Hoffmann (Hrsg.)
Bereits 1993 erschien der Band „Operation Epsilon“ mit den kurz zuvor freigegebenen „Farm Hall Transcripts“, herausgegeben vom Wissenschaftshistoriker Dieter Hoffmann, der die Transkripte in einen historischen Kontext einordnete. In Farm Hall, einem englischen Landsitz in der Grafschaft Cambridgeshire wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 zehn deutsche Physiker interniert und abgehört, die aus Sicht der Alliierten zentral für das deutsche Uranprojekt waren. Darunter waren mit Otto Hahn, Werner Heisenberg, Max von Laue und Carl Friedrich von Weizsäcker vier Forscher, die auch heute noch große Bekanntheit besitzen.
Bei den Transkripten handelt es sich um zusammenfassende Berichte, die im Wesentlichen aus Zitaten der internierten Physiker bestehen, ins Englische übersetzt und für Hoffmanns Buch wieder ins Deutsche zurückübersetzt. Inhaltlich wurden hier insbesondere Passagen zusammengebracht, die entweder das deutsche Uranprojekt betrafen oder aber die zukünftigen beruflichen Perspektiven der Internierten – gerade die Frage hinsichtlich einer möglichen Beteiligung an einem russischen Atomwaffenprogramm war hier von Interesse. Diese Veröffentlichung der Protokolle hat in der Folge – wie Dieter Hoffmann auch exemplarisch in der Einführung zur Neu-Edition feststellt – zu Diskussionen über das deutsche Uranprogramm beigetragen; ihr Verdienst ist unbestritten.
Wer diesen Band bereits (gelesen) hat, wird sich möglicherweise fragen, worin der Mehrwert der jetzt vorliegenden erweiterten Ausgabe liegt. Zum einen wurden die Transkripte vervollständigt, in der ersten Ausgabe fehlte insbesondere der Vortrag Heisenbergs, in dem er „seine Vorstellungen, wie die Atombombe hergestellt wurde, entwickelte“ (S. 234), den bereits Helmut Rechenberg in den Physikalischen Blättern veröffentlicht hat.1) Zum anderen, und dies schafft eine völlig neue Kontextebene, hat Hoffmann eine Reihe von Dokumenten (vor allem Briefe und
Tagebucheintragungen) neu aufgenommen. Diese ergänzenden Dokumente ermöglichen „einen anderen, kontrastierenden bzw. komplementären Blick auf die Zeit der Internierung“ (S. 411). Dieser kontrastierende Blick betrifft sowohl die Darstellung in den Transkripten als auch das (bereits in der ersten Ausgabe) enthaltene Interview mit C. F. von Weizsäcker. Das charakterisiert Erich Bagge (der ebenfalls zu den in Farm Hall internierten Physikern gehörte) in seiner Rezension zur ersten Auflage als „ein sehr interessantes und amüsantes Interview“, in dem „freundliche Fragen verschiedener Art [gestellt werden, die] ganz erwartungsgemäß in sehr eleganter und geschickter Weise … beantwortet“ werden.2)
Neben diesen Erweiterungen gibt es auch Kleinigkeiten, welche die vorliegende Ausgabe deutlich lesefreundlicher gestalten. So enthält der Text jetzt eine Vielzahl von erläuternden Fußnoten mit Basisinformationen zu den im Text vorkommenden Personen und historischen sowie teilweise technischen Erläuterungen. Diese machen das Arbeiten mit dem Text deutlich einfacher – allerdings sind sie (wenn das Buch als Ganzes gelesen wird) zum Ende hin teilweise redundant.
Insgesamt ist dieser Band nach wie vor wichtig für alle (auch angehenden) Physiker:innen, die sich für Fragen nach dem Selbstverständnis der am deutschen Uranprojekt beteiligten Physiker interessieren. Gleichzeitig eignet er sich als Quelle für Lehrkräfte, welche die entsprechende Forschung und das Handeln der Akteure im Rahmen ihres Unterrichts aus historischer oder ethischer Perspektive thematisieren möchten.
Prof. Dr. Peter Heering, Europa Universität Flensburg
1) Physikalische Blätter 48, 994 (1992), DOI: 10.1002/phbl.19920481206
2) Physikalische Blätter 50, 589 (1992), DOI: 10.1002/phbl.19940500621