21.09.2007

Particle Metaphysics

Falkenburg, B.

Wenn Philosophen sich mit der Frage des wissenschaftlichen Realismus beschäftigen, dann führen sie häufig Beispiele aus der Teilchenphysik an. Denn die allgemeine Behauptung des wissenschaftlichen Realisten, dass sich die theoretischen Terme unserer reifsten wissenschaftlichen Theorien – im Falle der Teilchenphysik also die Begriffe Elektron, Pion oder Quark – auf tatsächlich existierende Entitäten in der Welt beziehen, zeigt nirgends so deutlich wie in der Teilchenphysik all die methodischen Probleme, die sich mit dieser Position ergeben können. Theoretische Terme beziehen sich auf nicht direkt beobachtbare Größen, und im Falle der Behauptung von Teilchen ist der Weg von den Beobachtungsdaten und Messgrößen zu den eigentlichen, vermeintlich realen Phänomenen aufgrund der hochkomplexen Messmaschinerie und aufwändigen Datenanalyse so lang und verschlungen wie wohl nirgends sonst in der empirischen Forschung. Dies stellt klarerweise ein Einfallstor dar für antirealistische Einwände. Dazu zählen die Thesen der Theoriegeladenheit der Beobachtung, des Bestätigungsholismus oder der Theorienunterbestimmtheit.
Im Umfeld all dieser Fragen bewegt sich das neueste Buch von Brigitte Falkenburg, das, wegen der Aufnahme zweier zusätzlicher Kapitel und einer spürbaren Fortentwicklung der Position der Autorin, deutlich mehr ist als eine bloße englische Ausgabe ihrer früheren deutschen Publikation „Teilchenmetaphysik“ (1994). Falkenburg verteidigt in ihrem Buch eine Position, die sie als moderaten Eigenschaftsrealismus bezeichnet. Eine Kernidee dabei ist, dass die heutige Physik eine Einheit herzustellen versucht, indem sie die verschiedenen verwendeten Größen- und Mess-Skalen in deren Überlappungsbereichen zur Kohärenz bringt. Insofern dies gelingt, können Begriffe, die nur auf je bestimmten Skalen sinnvoll anwendbar sind, durch ein verallgemeinertes Korrespondenzprinzip miteinander verkettet werden. Im philosophischen Jargon gesprochen: Die Einheit der Physik basiert heute faktisch eher auf einer semantischen als auf einer ontologischen Einheit.
Der besondere Wert der vorliegenden Arbeit besteht in der ungemein detaillierten und kenntnisreichen Analyse der Messmethoden der modernen experimentellen Teilchenphysik mit Blick auf deren philosophische Konsequenzen – eine Sichtweise, die von der eher theoriefixierten Philosophie der Physik häufig vernachlässigt wird. Umgekehrt, das ist allerdings hinzuzufügen, geht Falkenburg ihrerseits in allenfalls nachgeordneter Weise auf eine philosophische Durchleuchtung der hinter den Experimenten stehenden quantenfeld- und eichtheoretischen Modelle ein. Eine umfassende Beurteilung der Realismusfragestellungen in Hinblick auf die Teilchenphysik kann auf dieser Basis also gewiss nicht erfolgen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Buch all denen empfohlen sei, die sich für Grundlagenfragen der modernen Physik interessieren.
Priv.-Doz. Dr. Holger Lyre, Institut für Philosophie, Universität Bonn

B. Falkenburg: Particle Metaphysics
Springer, Berlin 2007, XVIII + 386 S., geb., ISBN 9783540337317

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