Philipp Lenard. Wissenschaftliche Abhandlungen Bd. 4
Schönbeck (Hrsg.)
Charlotte Schönbeck (Hrsg.): Philipp Lenard. Wissenschaftliche Abhandlungen Band 4
GNT-Verlag, Diepholz/Berlin 2003, 617 S., Geb.,
ISBN 3-928186-35-3
Es bedarf sicherlich keiner besonderen Rechtfertigung für die Herausgabe der wissenschaftlichen Abhandlungen eines Nobelpreisträgers der Physik. Dennoch ist der nun nach sechzig Jahren erscheinende abschließende Band der Lenardschen Werke kaum selbstverständlich.
Die von Charlotte Schönbeck eingeleitete Ausgabe der von Philipp Lenard 1942 selbst ausgewählten und im Sinne seiner "Deutschen Physik" bereits kommentierten Abhandlungen reproduziert schließlich schlimmstes antisemitisches Gedankengut in wissenschaftlicher Verkleidung und diese müssen daher als "Quellen der Wissenschaftsgeschichte" (so auch der Titel der Buchreihe des Verlags) gelesen werden. Dass die abgedruckten Arbeiten größtenteils vor Lenards radikaler Wende von 1922 zu Rassismus und N azi-Ideologie entstanden sind, hätte zwar für eine Tilgung der späteren Zusätze sprechen können, dennoch überzeugt deren Beibehaltung, da so die schrittweise Ideologisierung der Physik in den Arbeiten selbst und in der retrospektiven Interpretation offengelegt wird.
Der Band, der mit den Untersuchungen über Wasserfallelektrizität beginnt, ruft uns zunächst den scharfsinnigen und exakten Experimentator Lenard in Erinnerung, der seine Forschungen minuziös dokumentierte. Das gleiche Bild bestätigt sich auch in den anschließenden Kapiteln über die Leitfähigkeitsänderung von Wismut im magnetischen Feld und den Arbeiten zur Elektrizitätsleitung in Flammen. Letztere weisen interessante Verbindungen sowohl zur Spektralanalyse wie zu Lenards eigenen Forschungen über Kathodenstrahlen und die Atomstruktur auf, lässt sich doch in Flammen Elektrizitätsleitung durch Ionen und Elektronen untersuchen. In den Einleitungen zu diesen Teilen gelingt es der Herausgeberin glänzend, die zentrale Bedeutung und Verbreitung dieser mittlerweile wohl eher als randständig angesehenen Fragestellungen für die Physik um 1900 zu verdeutlichen.
Die besondere Bedeutung des Bandes macht aber wohl die Auseinandersetzung Lenards mit der Relativitätstheorie aus. Diese in der Wissenschaftsgeschichte vieldiskutierte Kontroverse erhält mit Schönbecks Dokumentation und zusätzlichen Recherchen eine wichtige Grundlage. Es wird deutlich, dass Lenard sich von einem frühen Befürworter der speziellen Relativitätstheorie über die eingeschränkte Akzeptanz der allgemeinen erst ab 1920 zu deren vehementem Gegner entwickelte, was dann allein außerwissenschaftliche Gründe hatte.
Das Ziel, "den besonderen Lenardschen Weg in der Übergangszeit zwischen klassischer Physik und moderner Physik unter dem erdrückenden Einfluss politischer Ideologie besser zu erschließen", erreicht die Herausgeberin mit Bravour, auch wenn die Deutung Lenards als Verlierer einer wissenschaftlichen Revolution kaum ausreicht, dessen politische und wissenschaftliche Radikalisierung zu erklären.
Dr. Arne Schirrmacher, Deutsches Museum München