Philosophie der Quantenphysik
C. Friebe et al.: Philosophie der Quantenphysik, Springer, Heidelberg 2015, 296 S., broschiert, 19,99 €, ISBN 9783642377891
C. Friebe, et al.
Dieses Buch schließt – auch im Selbstverständnis der Autoren – eine Lücke. Zum einen gibt es eine Vielzahl populärwissenschaftlicher Werke zur Quantentheorie, die aber unter Verzicht auf den mathematischen Apparat und die neueren Ansätze der letzten Jahre lediglich einen ersten Eindruck auf dem Stand der Diskussion der 1920er-Jahre vermitteln können. Zum anderen werden in hochspezialisierten Fachzeitschriften wichtige Grundlagenprobleme auch vor dem Hintergrund des detaillierten Formalismus diskutiert. Dies dringt jedoch meist weder zu den Physikern noch zu den Philosophen durch.
Ein Werk in der Art des vorliegenden Lehrbuchs ist also schon lange überfällig. Den Verfassern – teilweise aus dem Umfeld des philosophischen Seminars in Bremen um Manfred Stöckler – ist es gelungen, die obige Lücke erfolgreich zu schließen. Eine Einführung in den mathematischen Formalismus dient diesem Zweck, dem dann eine präzise Charakterisierung der wichtigsten Interpretationsansätze der Quantentheorie mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen folgt (beides: Cord Friebe). Dies wird etwa anhand des Messproblems verdeutlicht, wie es Maudlin 1995 formuliert hat, wonach mindestens eine von drei Aussagen bestritten werden muss: 1. Die Quantentheorie ist vollständig. 2. Die Vektoren im Hilbert-Raum gehorchen immer einer linearen Dynamik (Schrödinger-Gleichung). 3. Eine Messung ergibt genau einen der möglichen Eigenwerte des entsprechenden Operators. Die erste Hypothese fällt bei den Theorien verborgener Parameter (z. B. Bohm) weg, die zweite bei der Kopenhagener Deutung oder einem Kollaps der Wellenfunktion, die dritte schließlich bei der Viele-Welten-Theorie, bei der es den Beobachtern nur so scheint, als gäbe es definitive Werte.
Ein Kernstück des Buches ist das vierte Kapitel über Verschränkung und Nichtlokalität (Näger/Stöckler). Hier geht es u. a. um die Herausforderungen durch das Prinzip der Kausalität, wie sie sich insbesondere im Verhältnis der Quantentheorie zur Speziellen Relativitätstheorie (SRT) zeigen. Besteht hier wirklich eine „friedliche Koexistenz“ (A. Shimony), weil die quantenphysikalische „Verschränkung“ (Schrödinger) keine überlichtschnelle Signalübertragung zulässt? Vieles spricht für eine grundsätzliche Inkompatibilität zwischen beiden Theorien, da die durch die Quantentheorie ausgezeichnete Zeitrichtung der Relativität der Gleichzeitigkeit bei der SRT widerspricht (Reihenfolge der Messungen bei den Elementen eines verschränkten Systems nicht austauschbar). Die Autoren skizzieren mögliche Lösungsansätze und ihre Defizite (z. B. ausgewählte Hyperebenen oder Rückwärtsverursachung), bleiben aber in ihren Schlussfolgerungen doch etwas zu vage, da sie „eine Vereinbarkeit von Nicht-Lokalität und Relativitätstheorie (als) nicht mehr unmöglich“ ansehen (S. 171). Die von Näger und Stöckler im Rückgriff vor allem auf Maudlin selbst angebrachten Begründungszusammenhänge lassen eher Skepsis angebracht erscheinen.
In den Kapiteln „Quanten-Identität und Ununterscheidbarkeit“ (Lyre) und „Quantenfeldtheorie“ (Kuhlmann/Stöckler) werden weitere Problemfelder sichtbar gemacht und plausibel diskutiert, etwa die nach der ontologischen Qualität quantentheoretischer Systeme (Ununterscheidbarkeit, Strukturenrealismus etc.). Hilfreich dürfte ein chronologischer Abriss der Entwicklung am Schluss des Bandes sein (Friebe/Kuhlmann/Lyre).
Insgesamt ist dieses Lehrbuch gelungen und dürfte im deutschsprachigen Raum bis auf Weiteres das entscheidende Standardwerk zur Einführung in die Philosophie der Quantenphysik bleiben.
Dr. Werner Eisner, Hannover