20.11.2003

Physik im Nachkriegsdeutschland

Hoffmann (Hrsg.)

D. Hoffmann (Hrsg.): Physik im Nachkriegsdeutschland
Verlag Harri Deutsch 2003.
3. Aufl., kartoniert, 237 S., .
ISBN 3-8171-1696-9 

Die Nachkriegsgeschichte der Physik in Deutschland ist - mit einigen Ausnahmen - in der wissenschaftshistorischen Literatur bisher stiefmütterlich vernachlässigt worden. Um so erfreulicher ist das Erscheinen dieses Sammelbandes, der aus Vorträgen einer physikhistorischen Tagung der DPG aus dem Jahre 1999 hervorgegangen ist. Das Buch versteht sich weder als systematische Gesamtschau noch als Werkstattbericht einer reinen Ideen- oder Personengeschichte. In insgesamt 16 Aufsätzen zu den Themenkomplexen 'Kontexte', 'Institutionen', 'Disziplinen' und 'Personen' wird vielmehr exemplarisch versucht, die Wechselwirkung zwischen Politik und Physik im Nachkriegsdeutschland zu beleuchten. Zu bemängeln ist, dass es in einigen Beiträgen zu einer deutlichen Häufung von Flüchtigkeitsfehlern kommt. Ein etwas sorgfältigeres Lektorat hätte dem Buch hier sicherlich gut getan. Seinen Reiz verdankt das Werk nicht zuletzt dem unaufdringlichen Rahmen der vergleichenden gesamtdeutschen Perspektive, der um die Beiträge gelegt ist. Er gestattet es dem Leser, trotz (oder gerade wegen) der schlaglichtartigen Behandlung des Themas, Prozess-Strukturen, Handlungsspielräume, Parallelen und Unterschiede in der Physikentwicklung in beiden deutschen Staaten zu entdecken.

So zeigen etwa Klaus Hentschel und Gerhard Rammer in ihrer Studie zur Geschichte der Physik an der Universität Göttingen, dass es dort nach dem Krieg sowohl personell als auch in Bezug auf Lehr- und Forschungsinhalte eine weitgehende Kontinuität gab. Peter Nötzoldt berichtet über das 'tolle Gaunerstück' der Gründung der Forschungsgemeinschaft, die sich selbst als 'Max-Planck-Gesellschaft der DDR' verstand. Otfried Madelung erinnert sich an die Gründerjahre der Halbleiterphysik und legt dar, dass es nicht zuletzt wirtschaftliche Faktoren waren, die die Voraussetzung für die Forschungserfolge von Walter Schottky und seinen Kollegen geschaffen haben. Jost Lemmerich beleuchtet Lise Meitners Entschluss, nach dem Krieg nicht an ihr altes Institut zurückzukehren. Er weist nach, dass es nicht nur die 'sehr wesentliche Frage des Antisemitismus in Deutschland' war, die ihre Entscheidung beeinflußte, sondern dass selbst Otto Hahn ihr letztendlich nicht zureden konnte.

Es wird deutlich, dass nach dem Krieg überhaupt nicht die Rede davon sein konnte, wieder an das 'goldene Zeitalter' der Physik vor dem Dritten Reich anknüpfen zu können, sondern dass es - in Ost- wie in Westdeutschland - zunächst vor allem darum ging, einem weiteren Bedeutungsverlust der physikalischen Forschung in Deutschland vorzubeugen. Das Buch lässt ahnen, welch komplexem Geflecht an Prämissen es bedurfte, damit es im Spannungsfeld zwischen Wiederaufbau, Ideologie und Kaltem Krieg gelingen konnte, sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR wieder international hochkarätige Forschung zu betreiben.
Dr. Michael Schaaf, Celle

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