25.08.2010

Quanten. Einstein, Bohr und die große Debatte über das Wesen der Wirklichkeit

Kumar, M.

Manjit Kumar hat ein Buch über die Geschichte eines der faszinierendsten Kapitel der Wissenschaft geschrieben, der Entstehung und Entwicklung der Quantentheorie. Kumar beginnt mit Plancks Wirkungsquantum und schildert die Entwicklungen von der Lichtquantenhypothese Einsteins über Bohrs Atommodell bis zur mathematischen Ausarbeitung der Quantentheorie durch Heisenberg und Schrödinger Mitte der 1920er-Jahre. Danach vollzieht der Autor die Ausarbeitung der Kopenhagener Deutung mit ihrem Kernstück der komplementären Wirklichkeitserfassung nach und beleuchtet die anhaltenden Auseinandersetzungen über eben diese Deutung, die Einstein nie akzeptieren konnte.

Die Stärke des Buches liegt sicher darin, dass es zeigt, wie sachlogische Dynamik mit den biografischen und historisch-politischen Bedingungen zusammenhängen. Das macht die Persönlichkeit der Quantenforscher und ihre enge Zusammenarbeit deutlich.

Ein Schwerpunkt des Werkes liegt in der Schilderung der Einstein-Bohr-Debatte, die Kumar – meines Erachtens ganz zu Recht – nicht als bloßes Nachhutgefecht sieht (wie mancher Anhänger der Kopenhagener Deutung), sondern die schöpferischen Impulse Einsteins (aber auch Schrödingers) hervorhebt. Diese schufen die Grundlage für die heutige rasante Entwicklung (Quantenkryp-tographie, „Beamen“ etc.). Positiv fällt auch auf, dass der Autor echtes Quellenmaterial aufarbeitet und sich nicht – wie sonst bei populärwissenschaftlichen Schriftstellern üblich – auf Jahrzehnte später verfasste Sekundärtexte verlässt.

Gleichwohl gibt es einige Bereiche, in denen der Verfasser ungenau und missverständlich gearbeitet hat. So behauptet er, Heisenberg habe den „Ursprung der Unbestimmtheit“ in seinem berühmten Aufsatz über die Unbestimmtheitsrelationen in der „unvermeidliche(n) Störung beim Messakt“ gefunden (S. 287 f.). Tatsächlich diente Heisenbergs Gedankenexperiment der Messung von Teilchen durch ein Gammastrahlenmikroskop lediglich dazu, den hypothetischen Einwand gegen die theoretisch abgeleiteten Unbestimmtheitsrelationen zu widerlegen: Man kann die Bestimmungsgrößen wie Ort und Impuls doch messen, also existieren sie. Obwohl an anderer Stelle durchaus der prinzipielle Charakter der Unbestimmtheitsrelationen deutlich wird, bleibt dieser entscheidende Punkt doch eigenartig nebulös.

Ein anderer Fall ist weniger deutlich: Kumar lässt nämlich immer wieder eine ideologisch-dogmatische Komponente bei den Befürwortern der Kopenhagener Deutung (Bohr, Heisenberg, Pauli) durchblicken, obwohl er gegenteilige Fakten (etwa die Skepsis Paulis gegenüber Neumanns Beweis, dass Quantentheorien mit verborgenen Parametern unmöglich seien) kennt und auch nicht verschweigt. Heisenberg hat beispielsweise Bohms Theorie als durchaus mögliche, aber eben auch überflüssige Alternative detailliert kritisiert. Hier hätte man sich eine Unterscheidung zwischen den Protagonisten der Kopenhagener Deutung und späteren dogmatischen Verteidigern eines bereits kanonisierten Paradigmas, die an diesen Grundlagenfragen eigentlich schon nicht mehr interessiert waren, gewünscht.

Neben einigen eher lustigen Verwechslungen (so ist Dirac kein französischer Prinz, S. 337) gibt es auch noch einige historische Ungenauigkeiten (etwa die irrtümliche Behauptung der Äquivalenz von Matrizen- und Wellenmechanik vor Ausarbeitung der Transformationstheorie Diracs, S. 260).

Insgesamt ragt das Buch Kumars aber infolge seiner größeren sachlichen und historischen Genauigkeit gegenüber anderen populärwissenschaftlichen Darstellungen positiv hervor – trotz der aufgezeigten Defizite, die aber auch bei fachwissenschaftlichen Erörterungen häufig anzutreffen sind.

Dr. Werner Eisner, Universität Hannover

M. Kumar: Quanten. Einstein, Bohr und die große Debatte über das Wesen der Wirklichkeit, Berlin Verlag 2009, 480 S., geb., ISBN 9783827004963

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