18.09.2003

Quanten sind anders

Görnitz

Quanten sind anders

Von T. Görnitz.
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999. 318 S., geb.,
ISBN 3-8274-0571-8

Das Buch von Thomas Görnitz wählt einen Zugang zur Quantentheorie, in dem der nichtlokale Charakter der Theorie, der insbesondere an dem Beispiel der inzwischen im Labor nachgewiesenen Einstein-Podolski-Rosen Korrelationen sichtbar wird, in den Mittelpunkt gestellt wird.

Der Aspekt der Quantentheorie, von der aus sich die "verborgene Einheit der Welt" (so der Untertitel des Buches) erschließt, ist deren kinematische Nichtseparabilität. Diese von Schrödinger so genannte "Verschränktheit" bezeichnet die Tatsache, dass Quantensysteme, die einmal in Wechselwirkung
waren, korreliert bleiben. Verschränkte Zustände erlauben daher keine Zerlegung in unab hängig beschreibbare Teilsysteme, denn der Gesamt-Hilbertraum wird durch ein Tensorprodukt von Teil-Hilberträumen gebildet, wobei die Struktur des Tensorprodukts erzwingt, dass weiterhin so genannte Korrelationen zwischen den Teilobjekten bestehen. Die beobachtete Verletzung der Bellschen Ungleichungen ist eine direkte Folge dieser Verschränktheit.

Daraus folgt, dass ein physikalisches Objekt im quantentheoretischen Sinne mehr ist als die Summe seiner Teile. Beobachtbare Eigenschaften dieser Ganzheit wie die Stabilität der Atome oder die Supraleitung sind Beispiele für Phänomene, in denen der Quantenzustand nicht als direktes Produkt der Teilobjekte beschrieben werden kann. Dieser quantentheoretische Holismus, gewinnt weitere Bedeutung vor allem durch die Universalität der Quantentheorie; denn es gibt keinen der Quantentheorie immanenten Grund, ihre Anwendung auf einen Teilbereich der physikalischen Wirklichkeit einzuschränken. Die Welt kann nicht zur Hälfte klassisch und zur anderen Hälfte eine Quantenrealität sein - so formulierte es einmal Richard Feynman. Wegen dieser Verflechtung gibt es in Strenge auch keine vom Rest der Welt isolierbaren Objekte. Die Welt, d.h. Raum, Zeit und Materie - bestehend aus ca. 10 80 Baryonen und 10 89 Photonen und der Energiedichte des Quantenvakuums - , ist aus quantentheoretischer Sicht daher eine Einheit, die aus der Sicht der makroskopischen Kosmologie nicht sofort sichtbar ist.

Im ersten Drittel des Buches werden die wichtigsten Meilensteine des Weges von der antiken Atomhypothese bis zur Formulierung der klassischen Physik dargestellt. Als wesentlich für die klassische Physik stellt der Autor den Reduktionismus heraus, d.h. die Hypothese, dass komplizierte Erscheinungen oder Objekte in der Natur durch das Wechselspiel einfacher Teilsysteme erklärt werden können. Da der Gegenbegriff zur Ganzheitlichkeit der Begriff der Trennbarkeit ist, kann man auch sagen: in der klassischen Physik ist ein Ganzes jederzeit in Teile trennbar, derart, dass diese Teile unkorreliert sind. Wäh rend die klassische Physik als eine Theorie der Objekte zu charakterisieren ist, kann die Quantentheorie als Physik der Beziehungen gekennzeichnet werden. Diese Quantentheorie ist eine notwendige Konsequenz der Inkonsistenz der klassischen Physik. Dennoch leben wir in einer Welt, die in vielen Bereichen mit klassischer Physik erfolgreich beschrieben werden kann. Am Modell eines elementaren Messprozesses wird der Übergang aus Quantenzuständen zu klassischen Eigenschaften demonstriert und gezeigt, dass ohne die kosmologische Umgebung eines expandierenden geschlossenen Weltraum das Entstehen klassischer Eigenschaften unverständlich bleibt.

Auch für den Erkenntnisprozess resultiert aus der Sicht des quantentheoretischen Holismus ein neuer Aspekt. Naturwissenschaft befasst sich mit Information, d.h. mit dem was vom Kosmos oder Objekten und Strukturen im Kosmos gewusst werden kann. Aber erst nach Brechung der holistischen Symmetrie der Quantenmechanik durch Unterdrückung der EPR-Korrelationen kommt es zu wissbarer Information. Für die Struktur des Kosmos als auch für unser Wissen von ihm spielt nach Darstellung des Autors der Begriff der Information eine zentrale Rolle.

Wenn die Quantentheorie eine universelle Theorie ist, liegt es nahe sie auch auf das Physik treibende Subjekt, sein Denken und sein Bewusstsein auszudehnen. Anmerkungen zum Leib-Seele Problem und eine Diskussion der Ansätze von Edelman, Eccles und Penrose zu dieser Fragestellung werden aus der Sicht des quantentheoretischen Holismus erörtert.

Die Darstellung der Grundstrukturen der Quantentheorie und die durch sie beschriebene Realität nimmt den Hauptteil des Buches ein. Dabei bewegt sich der Autor im Fadenkreuz der Interpretationsproblematik der Quantentheorie, die einerseits aus der Dop pel inter pretation des Zustandsvektor als kinematisches Grundkonzept mit eigener Dynamik und als Träger von Information resultiert und andererseits durch den quantentheoretischen Holismus bzw. den nichtlokalen Korrelationen zwischen Teilsystemen mit gemeinsamer Vorgeschichte markiert ist. Die verschiedenen Positionen zur Deutung der Theorien werden am Beispiel einiger ihrer prominenten Vertreter dargestellt. Von Schrödinger, Heisenberg, Bohr, Einstein, Feynman bis zur Rekonstruktion der abstrakten Quantentheorie von Carl Friedrich von Weizsäcker. Am Rande erfährt man auch etwas über den äußeren und inneren Lebensweg des Autors.

Das Buch spannt einen weiten Bogen und ist eine zu weitergehendem Nachdenken anregende Lektüre. Es ist eine gelungene Darstellung der Essenz der Quantentheorie und ihrer über die Physik hinausgehenden Aspekte. Trotz des Verzichtes auf mathematische Symbolik bleibt es eine begrifflich präzise Einführung die auch demonstriert, dass Quantentheorie nicht notwendigerweise unanschaulich sein muss. Auch dem nicht physikalisch vorgebildeten Leser eröffnet es einen Weg zum Verständnis der mit der Quantenphysik verbundenen neuen Denkweise über die Natur und vermittelt eine Perspektive auf die innere Einheit des Universums, mit dem wir durch unsere kosmische Vorgeschichte verbunden sind.
Dr. Hans-Joachim Blome, Fachbereich Raumfahrt, Fachhochschule Aachen

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