18.09.2003

Reading the Principia. The Debate on Newton¿s Mathematical Methods for Natural Philosophy from 1687 to 1736

Guicciardini

Reading the Principia. The Debate on Newton¿s Mathematical Methods for Natural Philosophy from 1687 to 1736

Von N. Guicciardini.
Cambridge University Press, Cambridge 1999. V + 285 S., hard back,£ 50,00.
ISBN 0-521-64066-0

The Principia. Mathematical Principles of Natural Philosophy
Von I. Newton.
University of California Press, Berkeley, London 1999. XVII + 974 S., paperback,£ 21,95.
ISBN 0-520-08817-4

Die mathematischen Prinzipien der Physik
Von I. Newton
(Übers.u. hrsg. von V. Schüller). de Gruyter, Berlin 1999. 683 S., geb.,DM 378,-.
ISBN 3-11-016105-2

Isaac Newtons Principia hat der Physik ein neues, ein mathematisches Gesicht gegeben. Aber, obgleich Newton selbst seit Jahren über fortgeschrittene analytische Methoden verfügt hatte, wendete er sie hier nicht an: Die mathematischen Mittel der Principia waren schon bei der Veröffentlichung lebende Fossilien. Newton hat selbst die fast vollständig falsche Information verbreitet, er habe die meisten Propositionen mit seiner Fluxionsmethode entdeckt und sie dann aus Rücksicht auf die geometrische Tradition synthetisch dargestellt. Niemand vor Newton hatte es so weit gebracht in der Anwendung geometrischer Konstruktionen in der Physik; aber kaum jemand nach ihm hat es wieder versucht. Von 1687 bis 1736 waren die besten Mathematiker Europas damit beschäftigt, New tons Principia in die Sprache des (haupt sächlich Leibnizschen) Kalküls zu übersetzen. In seinem Reading the Principia schildert Niccolò Guicciardini diesen Prozess, an dessen Ende das, was wir als Newtonsche Physik kennen, in der Mechanica von Leonhard Euler fertig dasteht. Guicciardinis Buch ist eine detaillierte, aber verständlich geschriebene Darstellung der Entstehung der Newtonschen Physik, die den besonderen Vorzug hat, auch die englischen Beiträge, die mit Newtons eigener Fluxionsrechnung operierten, zu berücksichtigen. Es gelingt dem Autor insbesondere zu zeigen, wie formal äquivalente Systeme in der Praxis der Physik alles andere als äquivalent sein können.

Aber nicht nur die formale Sprache der Principia musste übersetzt werden; für den heutigen Leser muss auch sein Latein übersetzt werden. Die Philosophiae naturalis principia mathematica - die mathematischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft, wie es im 18. Jh. hieß - erschienen 1687 im Verlag der Royal Society. Zweimal, 1713 und 1726, hat Newton das Buch (teilweise erheblich) revidiert und erweitert. Eine kritische Ausgabe mit allen Abweichungen der verschiedenen Auflagen wurde 1972 von Alexandre Koyré und I. B. Cohen herausgegeben. Eine (heute noch gebräuchliche) englische Übersetzung erschien schon 1729. Allerdings hatte der Übersetzer, Andrew Motte, mit der zweiten Auflage angefangen zu arbeiten und erst später die dritte Auflage herangezogen, wobei er aber nicht alle Textänderungen berücksichtigt hat. Erst 1872 wurde eine deutsche Übersetzung (von J. Ph. Wolfers) veröffentlicht, die allerdings als etwas ungenau und anachronistisch gilt. Fünfzig Jahre später hat der bekannte Mathematikhistoriker Florian Cajori eine modernisierende Revision der Motte-Übersetzung vorgenommen. Nach seinem Tod 1930 wurde aus seinem Nachlass in Auftrag der University of California Press die jetzt gängige englische Fassung der Principia unter nicht mehr rekonstruierbaren Umständen zusammengestellt. Es ist nicht immer ersichtlich, von wem welche Revisionen in dieser Fassung stammen, aber es ist evident, dass sie gelegentlich ohne Berücksichtigung des lateinischen Originals gemacht wurden.

Am Ende des letzten Jahrhunderts (d.h. im letzten Jahr) erschienen zwei neue Übersetzungen (deutsch und englisch) der Principia auf der Grundlage der kritischen Ausgabe, so dass man jetzt den genuinen Newton in einer modernen europäischen Sprache lesen kann. I. B. Cohen und Anne Whitman haben die dritte Auflage der Principia ins Englische übersetzt - mit einigen der wichtigsten abweichenden Passagen aus anderen Auflagen. Volkmar Schüller hat die gesamte kritische Ausgabe (also auch alle abweichenden Teile der ersten und zweiten Auflagen) ins Deutsche übersetzt. Ein relevanter Unterschied zwischen den beiden neuen Übersetzungen ist der Preis:DM 67,93 (DM 145,57 gebunden) für die englische Ausgabe undDM 378,00 für die deutsche. In der Qualität entsprechen beide Übersetzungen allen Standards der modernen wissenschaftshistorischen Forschung.

Die Cohen/Whitman-Übersetzung modernisiert die mathematische Terminologie etwas; sie hat auch eine dreihundertseitige Einleitung über die Entstehungsgeschichte und die argumentative Struktur der Principia. Angesichts des Preisunterschiedes ist also dem Anfänger die englische Fassung zu empfehlen. Für den Fortgeschrittenen spricht allerdings einiges für die deutsche Fassung, da sie sich enger an Newtons Sprache und Denken hält. Schüller macht es sich zur Regel, New tons Sprache zu übersetzen, nicht zu modernisieren: Z.B. bleibt der teilweise umständ liche Gebrauch von Proportionen erhalten. Der Leser muss also im Nachwort des Herausgebers nachschlagen, u.a. was ein ratio subduplicata oder "einhalbfaches Verhältnis" ist (z.B. v 1 is zu v 2 wie s 1 zu s 2).

Ein anderer Unterschied liegt einfach darin, dass eine deutsche Übersetzung oft eindeutig Position beziehen muss, wo eine englische Übersetzung sich einfach durchwurschteln kann, indem sie die lateinischen Wörter sozusagen englisch ausspricht. Ein Beispiel kann dies veranschaulichen: Die Aufgabe bei vielen Propositionen (z.B. im Buch 1, Kap.5) heißt "trajectoriam describere ..." Die Übersetzung ins Englische ist einfach: describe a trajectory; so wurde der Ausdruck schon zu Newtons Zeit übertragen. Allerdings (wie das Oxford English Dictionary uns erzählt) bezeichnete "trajectory" zu dieser Zeit (und bei Newton selbst) manchmal einfach eine Kurve einer bestimmten Sorte. Schüller übersetzt: "Man konstruiere eine Kegelschnittkurve"; und wenn man die Aufgabe bei Newton genauer studiert, sieht man, dass sie wirklich eine rein geometrische ist. In der englischen Ausgabe lernt man aus der Einleitung (S. 136-37), dass diese Abschnitte eher geometrischer Natur sind und von Kegelschnitten handeln; in der deutschen Fassung merkt man es selbst, deshalb, weil die geometrische Denkweise in einer geometrischen Sprache noch lebt.

Beide neue Übersetzungen sind großartige Leistungen, die von jedem an der Wissenschaftsgeschichte Interessierten begrüßt werden sollten. Es ist aber schade, dass die deutsche Ausgabe nur für Bibliotheken erschwinglich ist.
Dr. Peter McLaughlin, Fachbereich Philosophie, Universität Konstanz

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