18.09.2003

Repetitorium Theoretische Physik

Wachter, Hoeber

Repetitorium Theoretische Physik

Von A. Wachter u. H. Hoeber.
Springer, Heidelberg 1998. XX + 544 S., 80 Abb., Broschiert,
ISBN 3-540-62989-0

Irgend etwas zwischen Feynmans Gleichung U=0 für die Unweltlichkeit und einem kompletten Satz Landau-Lifschitz 1-10 in seiner furchteinflößenden Vollständigkeit braucht der Student, will er Prüfungen meistern. Braucht er? Oder sollten wir uns vor Physikprüfungen bewahrt wünschen, die man mit einem Repetitorium besser bewältigen kann? In der Physik sind Verständnis und Verknüpfen des Verstandenen, nicht die Menge schnell gelernten und schnell vergessenen Faktenwissens gefragt, das sich mit einem Repetitorium auffrischen läßt.

Nun stellt sich glücklicherweise schnell heraus, daß das "Repetitorium" kein Repetitorium, sondern ein Lehrbuch ist, das den traditionellen Theorie-Kurs Mechanik, Elektrodynamik, Quantenmechanik und Statistische Physik enthält. Die über 500 Seiten belegen, daß es nicht leicht fällt, den Stoff weiter zu komprimieren, ohne schmerzhafte Lücken hinzunehmen, insbesondere wenn man Beispiele einstreut und nachrechnet.

So sehr mich die Arbeitsleistung der Autoren beeindruckt, die Texte, Formeln und Graphiken zu erstellen, mir fehlt die Durcharbeitung und kritische Auswahl. In diesem Jahrhundert ist mit dem KAM-Theorem ein tiefer Einblick in die Struktur Hamiltonscher Systeme gegeben worden. Aber Stichworte wie "integrable Systeme" , "flächentreuer Zeitfluß" oder "Chaos" finden sich nicht im Index oder bei der Hamiltonschen Mechanik.

Die Herleitung des Noether-Theorems ist, mit Verlaub, falsch. Für ein skalares Feld ist f :(x :)-f(x)=0 und nicht df. Die Autoren kommen trotzdem wie viele Lehrbücher vor ihnen zum Noether-Theorem: "Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie gehört eine Erhaltungsgröße." In der Hamiltonschen Formulierung kann man die Umkehrung beweisen: "Jede Erhaltungsgröße erzeugt die zugehörige kontinuierliche Symmetrie." Ist das nicht des Schreibens wert?
Zum Zwillingsparadoxon hält sich bei den Autoren der Irrglaube, daß es nur im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie gelöst werden kann. Kann man Dreiecke, weil sie in den Ecken gekrümmt sind, wirklich nur im gekrümmten Raum verstehen?

Im Anhang werden Differentialformen diskutiert. Allerdings können die Autoren kaum klar machen, wann eine Eins-Form
v=v mdx m die Ableitung einer Funktion
df=(∂ mf )dx m ist, da sie alle Eins-Formen df nennen.

Die Quantenmechanik wird axiomatisch vorgestellt. Aber gehört denn in jedem Fall ein hermitescher Operator zu einem Meßapparat oder darf es bei einer Winkelmessung auch mal ein unitärer Operator sein? Wird die Dichtematrix eine Observable, nur weil sie ein hermitescher Operator ist? Immerhin ist die Zeitentwicklung von Dichtematrizen und Meßoperatoren verschieden, so daß es sich lohnt, nicht alle in einen Topf zu werfen. Dafür braucht man nicht fein säuberlich zwischen Bra- und Ket-Vektoren zu unterscheiden, als wären sie Elemente verschiedener Räume.

Nicht gefunden habe ich: Periodisches Potential und Energiebänder. Nicht nur die Festkörperphysik fußt hierauf, in der Mechanik wird mit gleicher Mathematik die Stabilität bei parametrischer Resonanz analysiert. Weiter fehlt die Rabi-Oszillation: das universelle Phänomen von Zweizustandssystemen, ob sie Kaonen, Neutrinos, Spins oder atomare Zustände heißen. Wie mischt man Gemische? Daß die Entropie beim Mischen zunimmt, könnte man mit dem schweren Geschütz, das aufgefahren wird, um zu zeigen, daß Gleichverteilung zu maximaler Entropie gehört, leicht zeigen. Wie unterscheidet sich experimentell das Gemisch vom reinen Zustand, in einer Messung und in vielen verschiedenen Messungen?

Bis auf weiteres gilt: es reicht für Physikprüfungen nicht, ein Repetitorium durchzuarbeiten. Und darüber bin ich noch nicht einmal traurig.
Prof. Dr. Norbert Dragon, Institut für Theoretische Physik, Universität Hannover

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