Schilf
J. Zeh: Schilf, Schöffling & Co., Frankfurt 2007, 383 S., geb., ISBN 9783895614316
Zeh, J.
Julie Zeh, erfolgreiche Jungschriftstellerin und von Hause aus Juristin, beweist mit diesem Roman, dass ihr Scheuklappen eher fremd sind. Weder pflegt sie schriftstellerische Dünkel gegenüber dem Krimi-Genre, noch hat sie Berührungsängste mit der Quantenmechanik. Im Prolog liefert sie Fingerzeige darauf, wie die Physik in eine Krimihandlung kommt: „Ein Kommissar, der tödliches Kopfweh hat, eine physikalische Theorie liebt und nicht an den Zufall glaubt, löst seinen letzten Fall. Ein Kind wird entführt und weiß nichts davon. Ein Arzt tut, was er nicht soll. Ein Mann stirbt, zwei Physiker streiten, ein Polizeiobermeister ist verliebt.“
Aus dem Streit zwischen den beiden befreundeten Physikern Sebastian und Oskar über die Viele-Welten-Theorie und Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik entwickelt sich in „Schilf“ eine vertrackte Geschichte um eine Entführung und einen Mord. Das alles ist sicher keine gängige Krimikost. Julie Zehs Buch erzeugt weniger klassische Gänsehaut als eine intellektuelle Spannung, wenn sie die losen Erzählstränge im Laufe der Handlung zu einem schlüssigen Tathergang zusammenschnürt. Doch dazu möchte ich hier natürlich nichts verraten.
Als Stimme und „alter ego“ der Autorin fungiert Kommissar Schilf, mit dessen Auftreten sich die Ermittlungen zu einer Art kriminalistischem Schachspiel entwickeln, in der die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik eine besondere Rolle spielt. Glücklicherweise bevölkert die Autorin ihren Roman deswegen nicht mit Doppelgängern aus parallelen Welten, sondern macht sich die Physik metaphorisch zunutze. Zum Krimistoff auch noch eine Science Fiction-Geschichte hinzuzufügen, liegt nicht in der Absicht der Autorin. Ebensowenig wendet sie die Quantenmechanik leichtfertig auf Vorgänge des tägliche Leben an, sondern bietet eine durchaus anregende „physikalische Perspektive“ auf das Leben und auf die Literatur.
Alexander Pawlak