Soft Matter
R. Piazza: Soft Matter, Springer, Heidelberg 2001, 293 S., broschiert, 24,95 €, ISBN 9789400705845
R. Piazza
Roberto Piazza stellt sich der großen Herausforderung, die Grundlagen eines jungen und komplexen Forschungsbereichs einer breiten Leserschaft zu vermitteln. Dass ihm dies Freude bereitet hat, spürt man auf jeder Seite des Buches. Diese Begeisterung, in Verbindung mit Piazzas pädagogischem und schriftstellerischem Talent, packte mich von der ersten Seite an und ließ mich bis zum Ende einer äußerst bunten Reise durch die „Unterwelten“ der Weichen Materie nicht mehr los.
Auf dieser Reise begegnen einem nahezu alle grundlegenden Aspekte dieser sehr praxisnahen Wissenschaft, die mit ihrer Suche nach der Beschreibung der (Selbst-)Organisation und Dynamik von Polymeren, amphiphilen Molekülen oder Kolloiden nicht nur im Grenzbereich von Physik und Chemie zu Haus ist. Denn im Verlauf des Buches wird auch deutlich, dass sich dort wichtige Schlüssel zum Verständnis von Leben verbergen.
Die Reise beginnt daher bei der Baukunst der Römer, verweilt kurz bei der Waschmittelindustrie, widmet sich dann der Nahrungsmittelindustrie und kommt über Flachbildschirme bei der Biophysik des Lebens an. Dabei macht Piazza glücklicherweise nicht den Fehler, alle wissenschaftlich wichtigen Aspekte abdecken zu wollen. Er schreibt kein Lehrbuch, sondern erzählt eine in sich schlüssige und spannende Geschichte, für die er sich auf einige wichtige Fragestellungen und Beispiele konzentriert.
Die meisten Gebiete, denen er sich widmet, sind im Prinzip altbekannt. Neu ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten mit der „Weichen Materie“ eine echte naturwissenschaftliche Disziplin herausgebildet hat, die zunehmend fundamentale Prinzipien für eine Vielzahl von Systemen offenbart, die für das ungeschulte Auge keinen Bezug zu haben scheinen. Einem guten Pädagogen wie Piazza gelingt es, diese vereinenden Prinzipien auf sehr intuitive Weise und ohne mathematischen Ballast herauszuschälen. Das Buch ist daher zugänglich für eine breite Leserschaft – jedoch ohne unwissenschaftlich zu sein!
Piazzas Aufmerksamkeit gilt nicht nur den naturwissenschaftlichen Fragen, sondern auch den vielen anderen wichtigen Aspekten der Naturwissenschaften, über die wir uns auf der Suche nach wissenschaftlicher Objektivität auszuschweigen gelernt haben. Dabei berichtet er von den Un- und Zufällen, die zu einigen der wichtigsten Erkenntnisse geführt haben. Er gibt den Hauptakteuren ein Gesicht und versteckt nicht, dass in der Wissenschaft sehr häufig gute fachliche Zusammenarbeit und persönliche Freundschaft Hand in Hand gehen.
Piazza schreibt unbesorgt und erfrischend subjektiv. Ich habe noch nie so viel bei der Lektüre eines wissenschaftlichen Buches gelacht und über nichtfachliche Fragen nachgedacht! Für den eher traditionell eingestellten Leser könnte das Buch etwas schwülstig sein. Ich persönlich halte es für eine Art „Kleiner Prinz“ der Naturwissenschaften, da es so viele wissenschaftlich-historisch-menschliche Dimensionen bereithält, dass alle interessierten Leser darin etwas für sich finden. Einziger Nachteil: Der Autor macht oft Lust zum Weiterbohren, verzichtet aber leider auf weiterführende Literaturangaben.
Das günstige Buch eignet sich ideal als Geschenk oder als Weihnachtslektüre. Danach wird man die Wissenschaft, die uns jeden Tag umgibt, mit anderen Augen sehen.
Dr. Wiebke Drenckhan, Laboratoire de Physique des Solides, Université Paris-Sud