The History of Physics
J. L. Heilbron: The History of Physics, A Very Short Introduction, Oxford University Press, Oxford 2018, broschiert, 175 S., 11,95 $, ISBN 780199684120
J. L. Heilbron
Mehr als zwei Jahrtausende Physikgeschichte „sehr kurz“ abzuhandeln – das ist ein kühnes Unterfangen. Als eigenständige Disziplin gibt es die Physik erst seit vielleicht zweihundert Jahren. Aber natürlich haben auch Newton, Galilei und Kopernikus vor dreihundert, vierhundert und fünfhundert Jahren zur Entwicklung der Physik beigetragen. Und wenn wir bis zu den „alten Griechen“ zurückgehen: Auch die „physica“ von Aristoteles gehört zur Physikgeschichte, aber es ist klar, dass diese Art von Physik in eine ganz andere Kategorie gehört als etwa die Newtonsche Himmelsmechanik.
Heilbron behält das ganze Buch hindurch den Begriff „physica“ des antiken Griechenlands als eine Art Gegenpol zur modernen Physik bei. Dieser Kunstgriff führt uns das breite Spektrum physikalischen Denkens und Handelns über mehr als zweitausend Jahre hinweg immer wieder vor Augen und schafft die notwendige Distanz, um die Physik früherer Epochen von unserem modernen Physikverständnis abzugrenzen und in ihrem jeweiligen Kontext zu betrachten.
So spannt Heilbron den Bogen von der griechischen Antike über die islamische Wissenschaft, der er ein ganzes Kapitel widmet, zur „domestication of Greek and Arabic physica“ in Europa, die etwa vom 12. bis zum 16. Jahrhundert andauerte und den Boden für die wissenschaftliche Revolution in der frühen Neuzeit bereitete. Hier geht Heilbron besonders auf Galilei ein, dem er 2010 eine umfangreiche Biografie gewidmet hat.
Was dann Newton, Descartes und Leibniz in der Folge aus „physica“ gemacht haben, stellt Heilbron unter die Überschrift „Second Creation“. Das fünfte Kapitel („Classical physics and its cure“) ist der klassischen Physik des 19. Jahrhunderts und ihrer „Heilung“ durch die Entdeckungen der Atomphysik am Beginn des 20. Jahrhunderts gewidmet. Die letzten hundert Jahre Physikgeschichte vom Ersten Weltkrieg bis heute werden als Übertritt in eine neue Welt beschrieben („From Old World to New“).
John Heilbron hat vor etwa fünfzig Jahren mit Thomas Kuhn, Paul Forman und anderen die moderne Physikgeschichte mitgeprägt und so selbst disziplinbildend gewirkt. Für ihn geht es immer darum, den jeweiligen Kontext darzustellen, in dem sich Physik entwickelt. Das macht diese sehr kurze Einführung zu einem anspruchsvollen Projekt, denn Heilbron beschränkt sich nicht auf eine Geschichte von Ideen oder institutionellen Entwicklungen. Das führt zu einer hoch verdichteten Darstellung. Den Leser erwartet also keine ganz leicht verdauliche Lektüre – doch die Mühe lohnt sich. Hier zeigt ein Meister seines Faches, dass Physikgeschichte mehr ist als eine Abfolge von großen Entdeckungen und Theorien.
Dr. Michael Eckert,
Deutsches Museum, München