24.06.2003

The Nuclear Muse. Literature, Physics and the First Atomic Bombs

J. Canaday. The University of Wisconsin Press, Madison 2000. XVIII + 310 S., paperback,. ISBN 0299168549

Canaday

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John Canaday hat sich viel vorgenommen: Er untersucht das Verhältnis von Literatur bzw. Sprache und moderner Physik von der Entdeckung des Planckschen Wirkungsquantums bis zum Bau der ersten Atombomben. Zweifellos ist das eine interessante Fragestellung, denn die Physik des 20. Jahrhunderts hat sehr viel mit unserem sprachlich vermittelten Wirklichkeitsbezug zu tun, denn - so hat es Niels Bohr einmal ausgedrückt - wir hängen in der Sprache. Und dass die Rhetorik für die Entwicklung der ersten Atombomben eine Rolle spielte, ist durch ihre Einbindung in militärische und machtpolitische Konstellationen ebenfalls plausibel.

Leider gibt der Autor durch eine ganze Reihe ungenauer und missverständlicher Wiedergaben physikalischer und historischer Prozesse ein gutes Stück seiner Glaubwürdigkeit preis. Zwei Beispiele dafür: 1) Canaday verwechselt das Spektrum der Hohlraumstrahlung mit den diskontinuierlichen Linienspektren (S. 42), 2) Canaday meint (S. 51), Elektronen und Licht würden sich manchmal wie Wellen, manchmal wie Teilchen verhalten, während die Pointe der Komplementarität darin besteht, widersprüchliche Erscheinungsweisen im Zusammenhang sich ausschließender Versuchsanordnungen zu analysieren. An anderen Stellen kommt es immer wieder zu einer Projektion literarisch-sprachlicher Begrifflichkeiten - wie „Fiktion“ - auf die Analyse physikalischer Sachverhalte. Warum z.B. Uran 235, nur weil es in reiner Form erst in winzigen Mengen existierte, eine „Fiktion“ sei, bleibt das Geheimnis des Verfassers.

Eine Missverständlichkeit, Ungenauigkeit, Übertreibung, Projektion, Unterstellung reiht sich an die andere. Der „Los Alamos Primer“ (eine Zusammenfassung von Richard Serbers Einführungsvorlesungen für Neuankömmlinge in Los Alamos) wird zum Musterbeispiel von Indoktrination (ohne dass Canaday dies wirklich am Text belegen kann), verbreitete naturwissenschaftliche Metaphern wie „discovery“ und „exploration“ werden zu rhetorischer Wichtigkeit stilisiert.

Obwohl man in Canadays Werk sicher auch viel Informatives findet (z.B. über den Einfluss der Novelle von Wells „The World Set Free“ auf Leo Szilards Entwicklung) und bisweilen interessante Gedanken auftauchen (z.B. über die Rolle der Faust-Parodie 1932 in Kopenhagen), ist es doch schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Insgesamt muss Canadays Unternehmen, die Bedeutung literarisch-sprachlicher Kritik für die Geschichte der modernen Physik zu demonstrieren, als gescheitert betrachtet werden - auch wenn das Projekt selbst sinnvoll bleibt.

Dr. Werner Eisner, Zentrale Einrichtung für Wissenschaftstheorie und -ethik, Universität Hannover
 

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