28.05.2024

The Oxford Handbook of The History of Quantum Interpretations

Olival Freire Jr. (Hrsg.): The Oxford Handbook of The History of Quantum Interpretations, Oxford University Press, Oxford 2022, XIX + 1296 S., geb., £ 145/$ 200, ISBN 9780198844495

Olival Freire Jr. (Hrsg.)

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Dieses umfangreiche Handbuch ist ebenso sehr ein Buch über die (philosophischen) Interpretationen der Quantenphysik wie über deren Geschichte, waren doch viele Fortschritte der Quantentheorie erst durch das richtige Verständnis von Begriffen, Formeln und empirischen Befunden möglich. Doch wie der auf dem Cover abgebildete John Bell (à la Hamlet) zu sagen pflegte, etwas ist „faul“ in der Quantenmechanik. Und kein Geringerer als Steven Weinberg kritisierte in seinen letzten Lebensjahren wiederholt, dass die Physiker heute zwar alle an die Quantenmechanik glauben, aber trotzdem nicht einer Meinung sind, was sie genau bedeutet. Kann der vorliegende Band helfen?

Das Herausgeberteam um Olival Freire (Guido Bacciagaluppi, Olivier Darrigol, Thiago Hartz, Christian Joas, Alexei Kojevnikov und Osvaldo Pessoa) hat die fast unmögliche Aufgabe gemeistert, die vielfältige und komplexe Diskussion, welche die Quantentheorie von Beginn an begleitet hat und in vielen Bereichen für sie geradezu konstitutiv war, zu ordnen und bis an die Gegenwart zu verfolgen. Hierzu wurden fast sechzig der führenden Physikhistoriker und -philosophen gewonnen, die sich nicht scheuen, die Komplexität des Unterfangens zu zeigen – Wissenschaft ist heute komplex und ihre Entwicklung und ihr Verständnis verlaufen nicht linear, sondern sind verstrickt (entangled).

Wie bei einer Bibel handelt es sich um eine gewichtige Textsammlung von hier 51 Kapiteln, die in fünf Abteilungen gruppiert verschiedene Aspekte und Episoden der Quanten­theorie und ihres Verständnisses auf oft recht unterschiedliche Weise darlegen und diskutieren. Versammelt sind zunächst die wichtigsten Meilensteine in der Geschichte der Interpretationen und Grundlegungen der Quantenphysik. Dann geht es um die verschiedenen Kontexte und Orte: natür­lich Kopenhagen, aber auch Japan oder die Sowjetunion. Und schließlich werden die (großen) philosophischen und kulturhistorischen Thesen beleuchtet, die aus der Quantenphysik hervorgegangen sind, sowie deren Diskussion bis in jüngere Zeit. Dementsprechend reichen die einzelnen Themen von der Geschichte der Quantisierungsbedingungen über Grete Herrmanns Interpretation der Quantenmechanik oder Einsteins vehemente Kritik bis zu Tony Leggetts Weg zur Dekohärenz. Oder von den frühen Solvay-Konferenzen über die Diskussionen der Grundlagen der Quantenmechanik im Nachkriegsitalien bis zu den Vorstellungen von David Bohm und Roger Penrose zur Einheit der physikalischen Welt im Lichte von Nichtlokalität. 

Und wie bei einer Bibel wird kaum ein Leser das Handbuch von vorn bis hinten lesen, sondern sich jedes Mal seine Epistel auswählen, finden sich doch zu wesentlichen Aspekten oft mehrere Beiträge, die darauf aus unterschiedlichen Perspektiven eingehen. In jedem Fall lohnt es sich, die beiden Einführungsartikel zum Widerspruch der Routinenutzung der Quantentheorie bei fehlendem Konsens über ihre Interpretation (Franck Laloë) und den Überblick über die philosophischen Fragen, die sie aufwirft, (Wayne Myrvold) zuerst zu lesen. Danach kann man nach Interesse frei durch die Kapitel navigieren. Ein gutes Stichwortverzeichnis hilft dabei und die Literaturangaben sind umfangreich. Natürlich können auch die über 1300 Seiten das Thema nicht vollständig abdecken und einige vorhandene Lücken werden in der Einleitung nicht verschwiegen. Auch werden manche Leser ihre Apokryphen benennen, aber ein vergleichbarer Band findet sich nirgendwo. 

Die neue Bibel der Quanteninterpretationen muss vielleicht nicht auf jedem Nachttisch eines Physikers oder einer Physikerin liegen, sollte aber auf dem (digitalen) Regal nicht fehlen.

Prof. Dr. Arne Schirrmacher, Humboldt-Universität zu Berlin

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