23.04.2013

The Quantum Exodus

Gordon Fraser: The Quantum Exodus. Jewish Fugitives, the Atomic Bomb, and the Holocaust, Oxford University Press 2012, 267 S., geb., $ 45,00, ISBN 9780199592159

Gordon Fraser

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Dieses Buch führt durch einige der markanten Entwicklungen der modernen Physikgeschichte, die mit den politischen Ereignissen eng verflochten waren. Gordon Fraser stellt ein Zitat von Philipp Lenard vom Mai 1933 voran, der sich im Völkischen Beobachter, dem NS-Parteiorgan, über den verderblichen Einfluss der Juden auf die Wissenschaft beklagt. Das bringt den Autor zu der ihn hier leitenden Fragestellung. Demnach geschahen die Durchführung des Holocausts und der Bau der ersten Atombombe nicht zufällig zeitlich parallel, sondern waren beides Produkte der Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Eine wichtige Rolle bei der Untersuchung dieser Zusammenhänge spielte der Wissenstransfer durch die vertriebenen Physiker. Die in Deutschland als Juden ausgegrenzten, verfolgten und dann zumeist emigrierten Wissenschaftler sind deshalb das zentrale Thema des Buches, dessen Titel darauf abhebt, dass eine Reihe von ihnen an der Ausarbeitung der Quantentheorie maßgeblich beteiligt war. Viele dieser Flüchtlinge werden in zahlreichen, in den Kontext eingebauten biographischen Skizzen genauer vorgestellt.

Nach einer Beschreibung des Aufstiegs der Wissenschaften in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert wendet sich der Autor ihrem Niedergang nach 1933 zu, für den in der Physik neben der personellen Austrocknung auch das Wirken der beiden Nobelpreisträger Lenard und Stark mit ihren pseudo-wissenschaftlichen Ansichten verantwortlich gemacht wird. Wir erfahren dann, welchen Anteil die Emigranten im Rahmen jenes Wissenstransfers speziell an dem amerikanischen Projekt zum Bau der Atombombe hatten. Hier wird der Weg nachgezeichnet, der mit der Entdeckung der Kernspaltung noch in Deutschland seinen Ausgang nahm, aber dann von Emigranten maßgeblich vorangetrieben wurde. Das Buch schließt mit Betrachtungen über den allgemeinen, seit der Zeit des Nationalsozialismus existierenden „Brain-drain“ von Europa in die USA, dem erst in jüngerer Zeit durch neue Projekte am CERN etwas entgegengesetzt werden konnte.

Das alles wird sehr flüssig erzählt, teilweise nicht nur durch Sekundärliteratur, sondern auch durch Quellen gestützt, und verschafft dem Leser auf kaum mehr als 250 Seiten einen kompakten Überblick. Allerdings geschieht das auf Kosten einiger Verkürzungen und Vereinfachungen, die zwar die Prägnanz erhöhen, dem Verlauf der Geschichte aber manches Mal nicht ganz gerecht werden. So hätten einem potenziellen deutschen Atombombenprojekt in erster Linie nicht die für den Holocaust mobilisierten Ressourcen, sondern jene gefehlt, die dem hier gar nicht erwähnten groß angelegten V2-Waffenprojekt zur Verfügung standen. Der Niedergang der deutschen Wissenschaft war nach 1933 trotz der gravierenden personellen Verluste auch nicht in allen Wissen­schaftsbereichen so total, wie es hier nahe gelegt wird.

Umgekehrt ist der Aufstieg der USA nicht allein den Emigranten zu verdanken, sondern zunächst einem sich dort verändernden Umfeld, was in der Literatur schon recht zutreffend als Resonanzeffekt beschrieben worden ist. Dazu findet man hier wenig. Leider kommt der Autor auf seinen eingangs formulierten Gedanken über den gemeinsamen Hintergrund von Holocaust und Atombombe nicht mehr zurück. Die Geschichte wird in ihren Auswirkungen bis in die jüngste Vergangenheit verfolgt, aber eine abschließende Analyse und Wertung bleiben aus.

Wenn man in solcher Hinsicht Abstriche macht, bleibt das Buch auch trotz einiger Fehler+) noch eine anregende Lektüre, die dem Leser einige Entwicklungen der Physik der letzten hundert Jahre in politischen und kulturhistorischen Zusammenhängen nahe bringt.

+) Einstein wird fälschlicherweise dem Kreis der Unterzeichner des chauvinistischen Aufrufs an die Kulturwelt von 1914 zugerechnet. Auch wird das Judentum mitunter etwas zu weit ­gefasst. Da finden sich Namen wie der des Mathematikers Georg Cantor, bei dem eine solche Zugehörigkeit nicht nachweisbar ist.

Dr. Stefan L. Wolff, Forschungsinstitut des Deutschen ­Museums München

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