Von der Uranspaltung zur Göttinger Erklärung
Kraus
Von E. Kraus. Königshausen und Neumann, Würzburg 2001. XV + 449 S., Broschiert, ISBN 3-8260-1987-3
Das vorliegende Buch enthält den Text einer Dissertation aus den Sozial- und Verhaltenswissenschaften über ein gerade für Physiker spannendes Thema. Die Autorin untersucht hier nämlich anhand eines Ereignisses aus der Geschichte der jungen Bundesrepublik das Problem der individuellen Verantwortung des Wissenschaftlers für die Folgen seiner Forschungstätigkeit. Sie wählte dazu drei Hauptpersonen aus, die sie streng nach Max Weber als Typen charakterisiert: Hahn vornehmlich als humanitären Denker, Heisenberg als fachwissenschaftlich Argumentierenden und v. Weizsäcker als diplomatisch politisch Agierenden.
In zwei einleitenden Kapiteln werden ausführlich die Problemstellung sowie die benützten Methoden und Grundlagen (d.h. die historischen Quellen und Biographien der Beteiligten) erläutert; in den drei folgenden Kapiteln fasst die Autorin als Vorgeschichte die Erfahrungen der Protagonisten im deutschen Uranprojekt des 2. Weltkrieges (einschließlich ihrer damaligen Einstellung zur Atombombe) zusammen und berichtet von der Entstehung der Göttinger Erklärung vom April 1957 und ihren Folgen. Die durchaus verschiedenen Haltungen und Beiträge von Hahn, Heisenberg und v. Weizsäcker, die in der politisch brisanten Diskussion um die bestmögliche Ausrüstung der neuen Bundeswehr gipfelten, werden im zentralen Kapitel 6 klar und überzeugend analysiert, ebenso die vielfältigen Folgerungen aus der Erklärung, etwa die gemeinsame oder teilweise Beteiligung an weiteren Aktionen, wie dem Manifest von Linus Pauling oder den Pugwash-Konferenzen bzw. der Nichtbeteiligung an der einseitig parteipolitischen Anti-Atomtod-Bewegung.
Das vorliegende Werk stellt sicher eine der sorgfältigsten Falldiskussionen über eine bedeutsame Grundfrage nach dem letzten Weltkrieg dar. Obwohl selbst Zaungäste der Politik, vor allem der Weltpolitik, haben Otto Hahn (der in den Gaskämpfen des Ersten Weltkrieges die zentrale Bedeutung der Humanität lernte), Werner Heisenberg (der stets die Reinheit seiner Wissenschaft verkörperte) und Carl Friedrich v. Weizsäcker (der durch diplomatisches Handeln zum politischen Philosphen wuchs) einen beispielhaften Beitrag zum Thema Verantwortung des Wissenschaftlers geliefert. Etwas schwach erscheint dem Rezensenten allerdings der abschließende Vorschlag im letzten Teil von Kapitel 7, ob nämlich der Wissenschaftler nicht unter besonderen Umständen auf seine Tätigkeit verzichten sollte. Es gibt dazu eine sehr schöne Novelle von Stefan Zweig über die Einstellung jedes Handelns, um jede Schuld zu vermeiden: am Ende steht der Untätige auch als schuldig da, gerade weil er das Tun verweigerte. Das ist natürlich kein Einwand gegen ein gutes Buch, das rechtzeitig zum bevorstehenden Heisenberg-Jubiläum kommt.
Dr. Helmut Rechenberg, Max-Planck-Institut für Physik, München