Wolfgang Pauli: Relativitätstheorie
Wolfgang Pauli, Relativitätstheorie, hrsg. von D. Giulini, Springer, Heidelberg 2000, XV+300 S., 6 Abb., ISBN 3540673121
Wolfgang Pauli
Unter den frühen, systematischen Gesamtdarstellungen der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie nimmt der Beitrag, den der 21-jährige Wolfgang Pauli im 3. Semester für die Enzyklopädie der Mathematischen Wissenschaften geschrieben hat, eine Sonderstellung ein. In einem von jeglichen Verzierungen freien, streng sachlichen Stil werden die physikalischen Grundlagen beider Relativitätstheorie, deren mathema tische Hilfsmittel, die sie stützenden experimentellen Tatsachen und die damals vorliegenden Versuche, die Struktur der Materie in einer klassischen Feldtheorie zu erfassen, nach dem damaligen Stand (Ende 1920) vollständig, kritisch dargestellt.
Angesichts der Tatsache, dass die spezielle Relativitätstheorie seit langem zum unverzichtbaren Rüstzeug der Physiker gehört und die allgemeine Relativitätstheorie erst ab etwa 1960 durch experimentelle Fortschritte (Radar, Laser, Atomuhren, ...), neue geometrische und analytische Methoden und astrophysikalische Entdeckungen von einem esoterischen Spezialgebiet zu einem lebendigen Teil der Physik wurde, stellt sich die Frage, ob eine solche Neuauflage gerechtfertigt ist.
In diesem Fall gibt es mehrere gute Gründe. Wer eine physikalische Theorie verstehen will, wird meist gut daran tun, jedenfalls auch zu einer frühen Darstellung zu greifen, weil darin oft Motivationen und Ansätze unvoreingenommener diskutiert werden als in späteren, abgeschliffenen Lehrbüchern.
In dieser Hinsicht ist Paulis Artikel besonders geeignet, die Ursprünge der Relativitätstheorien zu erhellen. Hinzu kommt, dass der Leser das zwar nicht gerade strahlende, aber auch nicht finstere „Mittelalter“ der Relativitätstheorie anhand der 23 Zusätze verfolgen kann, die Pauli 1956 in Princeton geschrieben hat.
Darüber hinaus geben in dieser Neuausgabe 34 vom Herausgeber, Herrn Domenico Giulini, sorgfältig gewählte und klar formulierte Anmerkungen mit 69 Literaturangaben sowie Hinweisen auf offene Probleme einen Einblick in die neuere Entwicklung bis zum jetzigen Zeitpunkt. So enthält die vorliegende Ausgabe nicht nur als historisches Dokument den mit recht klassisch genannten Artikel Paulis, sondern zugleich eine stichwortartige Anleitung zum Studium der Relativitäts theorie.
Beim Lesen der kritischen Ausführungen Paulis, des „lebenden Gewissens der Physik“ (Niels Bohr), über die bis 1956 vorliegenden Vorschläge zur Vereinheitlichung von Feldtheorien drängt sich die Frage auf: Was würde Pauli wohl zu den entsprechenden heutigen Ansätzen sagen? Wir werden es nie wissen, aber seine Art des Verstehens und der Kritik kann uns Vorbild sein.
Prof. Dr. Jürgen Ehlers,
MPI für Gravitationsphysik, Golm
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