3D-Quantenspinflüssigkeit aus frustrierten Kristallen
Trillium-Gitter in Langbeiniten ermöglicht seltenes Quantenphänomen.
Wenn sich Spins in einem Kristallgitter nicht so ausrichten können, dass sie gemeinsam ein Minimum der Energie erreichen, spricht man von magnetischer Frustration. Wird diese Frustration groß genug, dann fluktuieren die Spins ungeordnet weiter, selbst wenn die Temperatur gegen Null geht. Es bildet sich eine Quantenspinflüssigkeit. Diese QSL besitzen bemerkenswerte Eigenschaften, unter anderem weisen sie topologisch geschützte Phänomene auf, die zum Beispiel für zukünftige, besonders stabile Qbits nützlich wären. Zunächst wurden Quantenspinflüssigkeiten vor allem in zweidimensionalen Strukturen untersucht, doch in 3D-Strukturen kann das Phänomen ebenfalls auftreten, wenn auch deutlich seltener.
Nun hat eine internationale Kooperation dieses Verhalten in einer neuen Materialklasse mit einer 3D-Struktur nachgewiesen: Die Langbeinite sind in der Natur selten vorkommende Sulfat-Mineralien; indem man ein oder zwei Elemente aus der Summenformel ersetzt, entstehen Variationen, die alle zu dieser Materialklasse zählen. Für die Untersuchung wurden künstlich erzeugte Langbeinit-Kristalle mit der Summenformel K2Ni2(SO4)3 hergestellt. Dabei spielt das magnetische Element Nickel die entscheidende Rolle: Die Nickelionen bilden untereinander zwei Trillium-Gitter, die miteinander verschränkt sind. Dies erzeugt die gewünschte magnetische Frustration, die noch verstärkt wird, wenn ein äußeres Magnetfeld anliegt: Die magnetischen Momente der Nickelionen können sich nicht alle energetisch günstig ausrichten, sondern fluktuieren und bilden eine Quantenspinflüssigkeit.
Das Team um Ivica Živkovič von der EPFL konnte die magnetischen Fluktuationen an der britischen Neutronenquelle ISIS in Oxford vermessen. Die Proben verhalten sich wie ein Quantenspinflüssigkeit, und noch nicht einmal nur bei extrem tiefen Temperaturen, sondern auch noch bei „lauwarmen“ zwei Kelvin. Forschende um den HZB-Theoretiker Johannes Reuther konnten die Messdaten erfolgreich erklären, indem gleich mehrere theoretische Methoden zum Einsatz kamen. „Unser theoretisches Phasendiagramm identifiziert sogar eine „Insel der Liquidität“, die um ein stark frustriertes Tetratrillium-Gitter zentriert ist“, sagt Matias Gonzalez, Postdoc im Team Reuther, der die Monte Carlo Simulationen durchgeführt hat.
Doktorand Vincent Noculak berechnete die Wechselwirkungen zwischen den Spins mit einer auf Feynman-Diagrammen basierenden Methode, die Reuther bereits vor einigen Jahren selbst entwickelt hatte – Pseudo-Fermionen funktionale Renormierungsgruppe PFFRG. Die Übereinstimmung zwischen Messdaten und theoretischen Ergebnisse ist überraschend hoch. „Wir können dieses System trotz seiner äußerst komplizierten Wechselwirkungen wirklich sehr gut durch unsere Modellierungen abbilden“, sagt Reuther.
Die Langbeinite sind eine sehr große und in weiten Teilen noch unerforschte Materialklasse. Die Studie zeigt, dass sich die Suche nach Quantenverhalten hier lohnen kann. So hat das Team um die Physikerin Bella Lake schon neue Vertreter dieser Materialklasse synthetisiert, die ebenfalls als 3D-Quantenspinflüssigkeiten in Frage kommen. „Noch ist dies reine Grundlagenforschung“, betont Johannes Reuther, „aber mit dem steigenden Interesse an neuartigen Quantenmaterialien könnten die Langbeinite auch für Anwendungen in der Quanteninformation interessant werden“.
HZB / JOL