28.08.2024

3D-Quantenspinflüssigkeit aus frustrierten Kristallen

Trillium-Gitter in Langbeiniten ermöglicht seltenes Quantenphänomen.

Wenn sich Spins in einem Kristallgitter nicht so ausrichten können, dass sie gemeinsam ein Minimum der Energie erreichen, spricht man von magne­tischer Frustration. Wird diese Frustration groß genug, dann fluktuieren die Spins ungeordnet weiter, selbst wenn die Temperatur gegen Null geht. Es bildet sich eine Quanten­spin­flüssigkeit. Diese QSL besitzen bemerkens­werte Eigenschaften, unter anderem weisen sie topo­logisch geschützte Phänomene auf, die zum Beispiel für zukünftige, besonders stabile Qbits nützlich wären. Zunächst wurden Quantenspin­flüssigkeiten vor allem in zwei­dimensionalen Strukturen untersucht, doch in 3D-Strukturen kann das Phänomen ebenfalls auftreten, wenn auch deutlich seltener.

Daten an der Neutronenquelle ISIS (l.) und den Ergebnissen der theoretischen...
Abb.: Trillium-Gitter: Vergleich zwischen den experimentell gewonnenen Daten an der Neutronenquelle ISIS (l.) und den Ergebnissen der theoretischen Betrachtung mit der PFFRG-Methode (r.) zeigt eine hervorragende Übereinstimmung.
Quelle: HZB

Nun hat eine internationale Kooperation dieses Verhalten in einer neuen Material­klasse mit einer 3D-Struktur nachgewiesen: Die Langbeinite sind in der Natur selten vorkommende Sulfat-Mineralien; indem man ein oder zwei Elemente aus der Summenformel ersetzt, entstehen Variationen, die alle zu dieser Materialklasse zählen. Für die Untersuchung wurden künstlich erzeugte Langbeinit-Kristalle mit der Summenformel K2Ni2(SO4)3 hergestellt. Dabei spielt das magne­tische Element Nickel die entscheidende Rolle: Die Nickelionen bilden untereinander zwei Trillium-Gitter, die miteinander verschränkt sind. Dies erzeugt die gewünschte magnetische Frustration, die noch verstärkt wird, wenn ein äußeres Magnetfeld anliegt: Die magnetischen Momente der Nickelionen können sich nicht alle energetisch günstig ausrichten, sondern fluktuieren und bilden eine Quanten­spinflüssigkeit.

Das Team um Ivica Živkovič von der EPFL konnte die magnetischen Fluk­tuationen an der britischen Neutronen­quelle ISIS in Oxford vermessen. Die Proben verhalten sich wie ein Quantenspinflüssigkeit, und noch nicht einmal nur bei extrem tiefen Temperaturen, sondern auch noch bei „lauwarmen“ zwei Kelvin. Forschende um den HZB-Theoretiker Johannes Reuther konnten die Messdaten erfolgreich erklären, indem gleich mehrere theo­retische Methoden zum Einsatz kamen. „Unser theoretisches Phasen­diagramm identi­fiziert sogar eine „Insel der Liquidität“, die um ein stark frustriertes Tetra­trillium-Gitter zentriert ist“, sagt Matias Gonzalez, Postdoc im Team Reuther, der die Monte Carlo Simu­lationen durchgeführt hat. 

Doktorand Vincent Noculak berechnete die Wechsel­wirkungen zwischen den Spins mit einer auf Feynman-Diagrammen basierenden Methode, die Reuther bereits vor einigen Jahren selbst entwickelt hatte – Pseudo-Fermionen funktionale Renormierungs­gruppe PFFRG. Die Über­einstimmung zwischen Messdaten und theo­retischen Ergebnisse ist überraschend hoch. „Wir können dieses System trotz seiner äußerst komplizierten Wechsel­wirkungen wirklich sehr gut durch unsere Modellierungen abbilden“, sagt Reuther.

Die Langbeinite sind eine sehr große und in weiten Teilen noch unerforschte Materialklasse. Die Studie zeigt, dass sich die Suche nach Quanten­verhalten hier lohnen kann. So hat das Team um die Physikerin Bella Lake schon neue Vertreter dieser Material­klasse synthetisiert, die ebenfalls als 3D-Quantenspin­flüssigkeiten in Frage kommen. „Noch ist dies reine Grundlagenforschung“, betont Johannes Reuther, „aber mit dem steigenden Interesse an neuartigen Quanten­materialien könnten die Langbeinite auch für Anwendungen in der Quanten­information interessant werden“.

HZB / JOL

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