Achtung Aquaplaning!
Große, auf einem sehr dünnen Wasserfilm rotierende Granitkugeln in öffentlichen Gärten und Gebäuden sind entgegen allem Anschein High-Tech-Produkte.
Rotierende Kugeln aus Granit und anderen Materialien trifft man im Großen wie im Kleinen als Kunstwerke und Designobjekte an. Sie sind passgenau in eine sphärische Lagerung eingelassen und werden von einem dünnen Wasserfilm getragen. Das Wasser wird in der Mitte unter der Kugel in den Zwischenraum gepresst und tritt an der oberen Kante der Lagerung wieder aus.
Bei den großen Kugeln ist man meist überrascht, wie gering die ausströmende Wassermenge ist. Sie können auf diese Weise fast reibungsfrei auf dem Wasserfilm rotieren, was bei großen Exemplaren mit einem Durchmesser von rund einem Meter und einem Gewicht von mehr als einer Tonne besonders eindrucksvoll ist. Mit geringer Anstrengung lassen sie sich beliebig drehen.
Eine große Granitkugel kann auf einem dünnen Wasserfilm frei rotieren (Foto: Schlichting).
Der Wasserfilm zwischen Kugel und Lagerung ist erstaunlich dünn. Eine Postkarte lässt sich normalerweise nicht in den Zwischenraum zwängen. Da solche Kugeln oft im öffentlichen Raum stehen, wird dies schon aus Sicherheitsgründen erforderlich, damit Kinder nicht ihre Finger dazwischen stecken können. Dieser geringe Zwischenraum bedeutet, dass die polierten Kugeln sehr genau gearbeitet sein müssen. Angesichts dieser Präzision kann man sie trotz der Gewöhnlichkeit des Materials als High-Tech-Produkte ansehen.
Damit eine Kugel auf dem Wasserfilm gleiten kann, muss der Wasserstrom einen entsprechend großen Druck erzeugen. Dieser lässt sich leicht abschätzen: Eine Granitkugel mit einem Radius von 1 m und einer Dichte von 2700 kg/m3 besitzt eine Masse von 1414 kg. Geht man davon aus, dass die Kugel in einer Kalotte mit einer Höhe von 0,25 m gebettet ist, so übt sie auf die Wasserschicht einen Druck von 177 hPa aus. Das ist gemessen am äußern Luftdruck mit 1013 hPa ein vielleicht unerwartet geringer Wert. Wie wird dieser Druck im Wasserfilm aufrechterhalten?
Durch einen Zufluss in der Mitte der Kugelkalotte erzeugt das Wasser einen Keil zwischen Kugel und Lagerung und trennt beide voneinander, wenn auch nur ein kleines Stück, so dass die Kugel auf dem Wasserfilm gleitet. Der Vorgang lässt sich anschaulich mit dem Aquaplaning vergleichen. Hier sammelt sich ein Wasserkeil vor den Rädern des Fahrzeugs. Dabei wird das Wasser genauso schnell erneuert, wie es aufgrund des auf den Rädern auflastenden Gewichts des Fahrzeugs weggedrückt wird. Es stellt sich also ein stationärer Zustand in Form eines Wasserkeils ein, der die Räder anhebt. Auf diese Weise gleitet das Auto auf dem dünnen Wasserfilm zwischen Reifen und Straße. Steuern ist dann nicht mehr möglich, denn dazu wäre die Reibung zwischen Straße und Reifen erforderlich. Dieser Effekt tritt in der Regel erst oberhalb einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h auf.
Einen solchen Vorgang nennt man allgemein auch hydrodynamische Schmierung. Wie der Name bereits andeutet, wird er in der Technik eingesetzt, um die Reibung zwischen einer rotierenden Welle und dem Lager bis auf den viskosen Widerstand herabzusetzen, indem die direkte Berührung zwischen den Metallteilen unterbunden wird. So gesehen könnte man die rotierenden Granitkugeln als überdimensionale Kugellagerkugeln bezeichnen.
Hans Joachim Schlichting, Uni Münster
Der Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen. Er steht bis 20.8. zum freien Download bereit.