10.07.2018

Akteur oder Zuschauer?

Schwingungsanregung von Molekülgruppen ermöglicht Identifikation relevanter Reaktionspartner.

Ob und wie sich chemische Reaktionen durch gezielte Schwingungs­anregung der Ausgangs­stoffe beeinflussen lassen, untersuchen Physiker um Roland Wester an der Universität Innsbruck. Sie konnten nun demonstrieren, dass die Anregung mit einem Laser­strahl die Effizienz einer chemischen Austausch­reaktion nicht beeinflusst und die angeregte Molekül­gruppe bei der Reaktion nur als Zuschauer fungiert. Eine häufig verwendete Reaktion in der organischen Chemie ist die nukleo­phile Substitution. Sie spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle in der Synthese neuer Verbindungen oder bei Bio­molekülen in Lösung und ist deshalb auch industriell von großer Bedeutung. Bei der Reaktion treffen geladene Teilchen auf Moleküle und eine molekulare Gruppe wird dabei durch eine andere ersetzt.

Abb.: In einem eigens konstruierten Experiment können die Forscher die Austausch­reaktion fast wie in einem Film detail­genau beobachten.(Bild: Royal Society of Chemistry)

Seit langem versucht die Wissenschaft diese Vorgänge im Grenz­bereich von Chemie und Physik auf atomarer Ebene im Labor zu reproduzieren und zu verstehen. Das Team um den Experimental­physiker Roland Wester am Institut für Ionen­physik und angewandte Physik der Universität Innsbruck ist hier eine der welt­weit führenden Forschungs­gruppen. In einem eigens konstruierten Experiment lassen die Inns­brucker Physiker die geladenen Teilchen mit Molekülen im Vakuum kollidieren und unter­suchen die Reaktions­produkte. Um festzustellen, ob die gezielte Schwingungs­anregung einen Einfluss auf eine chemische Reaktion hat, nutzen die Wissenschaftler einen Laser­strahl, der einen Bereich des Moleküls in Schwingung versetzt.

Im aktuellen Experiment kamen negativ geladene Fluor-Ionen und Jod­methan-Moleküle zum Einsatz. Bei der Kollision entstehen wegen des Aus­tauschs der Jod-Bindung durch eine Fluor-Bindung ein Fluor­methan-Molekül und ein negativ geladenes Jod-Teilchen. Bevor die Teilchen aufeinander­treffen, werden mit dem Laser im Moleküle Streck­schwingungen der Wasserstoff-Kohlenstoff-Verbindungen angeregt. „Unsere Messungen zeigen, dass die Laser­anregung die Austausch­reaktion nicht verstärkt“, sagt die beteiligte Wissenschaftlerin Jennifer Meyer. „Die Wasserstoff­atome scheinen die Reaktion nur zu beobachten.“

Untermauert wird das Ergebnis durch die Beobachtung, dass eine Konkurrenz-Reaktion stark zunimmt. Dabei wird dem Jod­methan-Moleküle ein Wasserstoff­atom entrissen und es entsteht ein Fluorwasserstoff. „Wir lassen zwanzig Mal pro Sekunde zwei Teilchen aufeinander­prallen, jedes zweite Mal kommt der Laser zum Einsatz. Und das wiederholen wir Millionen Mal“, erklärt Meyer. „Immer dann, wenn der Laser einstrahlt, wird diese Protonen­tausch­reaktion drastisch verstärkt.“ Theoretische Chemiker der Universität Szeged in Ungarn und der University of New Mexico in den USA bestätigten die experimentellen Ergebnisse aus Innsbruck mit Hilfe von Computer­simulationen.

In der hochpräzisen Untersuchung von chemischen Prozessen wurde bisher vor allem das einfachste Modell erforscht, die Reaktion eines Atoms mit einem zwei­atomigen Molekül. „Hier sind alle Teilchen unweigerlich an der Reaktion beteiligt. Es gibt keine Beobachter“, sagt Roland Wester. „Das von uns nun untersuchte System ist so groß, dass erstmals Beobachter auftauchten. Es ist aber noch klein genug, um diese Beobachter noch sehr präzise erforschen zu können.“ Bei großen Molekülen gibt es sehr viele Teilchen, die nicht direkt an einer Reaktion beteiligt sind. Deren Rolle zu untersuchen, ist das lang­fristige Ziel der Arbeits­gruppe um Roland Wester. Dazu wollen die Forscher auch das aktuelle Experiment noch verfeinern, um mögliche subtile Effekte aufzudecken.

Für die Anwendung wichtig ist dabei auch die Frage, ob durch die gezielte Anregung einzelner Molekül­gruppen bestimmte Reaktionen verstärkt werden können. „Wenn man etwas verstanden hat, kann man auch Kontrolle ausüben“, resümiert Roland Wester. „Anstatt eine Reaktion über Wärme anzuregen, macht es unter Umständen Sinn, nur einzelne Molekül­gruppen anzuregen, um eine bestimmte Reaktion zu erzielen“, ergänzt Jennifer Meyer. So lassen sich möglicherweise konkurrierende Reaktions­prozesse vermeiden, die in der industriellen Chemie oder bio­medizinischen Forschung ein häufiges Problem darstellen.

U. Innsbruck / DE

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