13.06.2022

Als die Dämmerung im All zuende ging

Analyse von Quasaren erlaubt Neubestimmung der Epoche der Reionisation.

Das Universum hat von seinen Anfängen bis zu seinem heutigen Zustand verschiedene Phasen durchlaufen. In den ersten 380.000 Jahren nach dem Urknall war es ein heißes und dichtes ionisiertes Plasma. Danach kühlte es so weit ab, dass sich die Protonen und Elektronen, die das Universum erfüllten, zu neutralen Wasserstoff­atomen verbinden konnten. Während der meisten Zeit während dieses dunklen Zeitalters gab es im Universum keine sichtbaren Lichtquellen. Mit dem Auftauchen der ersten Sterne und Galaxien etwa 100 Millionen Jahre später wurde dieses Gas durch die ultraviolette Strahlung der Sterne allmählich wieder ionisiert. Bei diesem Prozess werden die Elektronen von den Protonen getrennt, so dass sie als freie Teilchen übrigbleiben. Diese Epoche wird gemeinhin als „kosmische Dämmerung“ bezeichnet. Heute ist der gesamte Wasserstoff, der sich zwischen den Galaxien ausbreitet, das intergalaktische Gas, vollständig ionisiert. Wann dies geschah, ist jedoch ein heftig diskutiertes Thema unter Wissenschaftlern und ein hart umkämpftes Forschungs­gebiet.

 

Abb.: Schematische Darstellung des Blicks in die kosmische Geschichte, der das...
Abb.: Schematische Darstellung des Blicks in die kosmische Geschichte, der das helle Licht von fernen Quasaren ermöglicht. (Bild: Carnegie Inst. Sci. / MPIA)

Ein internationales Team von Astronomen unter der Leitung von Sarah Bosman vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg hat nun das Ende der Reionisations­epoche auf 1,1 Milliarden Jahre nach dem Urknall genau datiert. „Ich bin fasziniert von der Vorstellung der verschiedenen Phasen, die das Universum bis zur Entstehung von Sonne und Erde durchlaufen hat. Es ist ein großes Privileg, ein neues kleines Stück zu unserem Wissen über die kosmische Geschichte beizutragen“, sagt Sarah Bosman.

Frederick Davies, ebenfalls Astronom am MPIA und Mitverfasser des Artikels, kommentiert: „Bis vor ein paar Jahren war die vorherrschende Meinung, dass die Reionisierung fast 200 Millionen Jahre früher abgeschlossen war. Hier haben wir nun den bisher stärksten Beweis dafür, dass der Prozess viel später endete, während einer kosmischen Epoche, die mit den Beobachtungs­einrichtungen der heutigen Generation leichter zu beobachten ist.“ Diese Zeitkorrektur mag angesichts der Milliarden von Jahren seit dem Urknall marginal erscheinen. Ein paar hundert Millionen Jahre mehr reichten jedoch aus, um mehrere Dutzend Sterngenerationen in der frühen kosmischen Entwicklung hervorzubringen. Der Zeitpunkt der „kosmischen Dämmerung“ gibt Aufschluss über die Art und die Lebensdauer der ionisierenden Quellen, die während der Hunderte von Millionen Jahren, die sie dauerte, vorhanden waren.

Dieser indirekte Ansatz ist derzeit die einzige Möglichkeit, die Objekte zu charakterisieren, die den Prozess der Reionisation vorangetrieben haben. Die direkte Beobachtung dieser ersten Sterne und Galaxien übersteigt die Möglichkeiten der heutigen Teleskope. Sie sind einfach zu lichtschwach, um innerhalb eines angemessenen Zeitraums brauchbare Daten zu erhalten. Selbst Einrichtungen der nächsten Generation wie das Extremely Large Telescope (ELT) der ESO oder das James Webb Space Telescope täten sich mit einer solchen Aufgabe schwer.

Um zu untersuchen, wann das Universum vollständig ionisiert war, wenden Wissenschaftler verschiedene Methoden an. Eine davon besteht darin, die Emission von neutralem Wasserstoffgas in der 21-Zentimeter-Spektral­linie zu messen. Sarah Bosman und ihre Kollegen analysierten statt­dessen das von starken Hintergrundquellen empfangene Licht. Sie untersuchten 67 Quasare, die hellen Scheiben aus heißem Gas, die die zentralen massereichen schwarzen Löcher in weit entfernten aktiven Galaxien umgeben. Bei der Betrachtung eines Quasar­spektrums, das die Intensität des Lichts über die beobachteten Wellenlängen verteilt darstellt, finden die Astronomen Absorptions­linien. Neutrales Wasserstoff­gas absorbiert diesen Teil des Lichts auf seinem Weg von der Quelle zum Teleskop. Die Spektren dieser 67 Quasare sind von einer noch nie dagewesenen Qualität, was für den Erfolg dieser Studie entscheidend war.

Bei der Methode wird eine Spektrallinie untersucht, die einer Wellenlänge von 121,6 Nanometern entspricht. Diese Wellenlänge gehört zum UV-Bereich und ist die stärkste Spektral­linie des Wasserstoffs. Durch die kosmische Expansion verschiebt sich das Quasar­spektrum jedoch zu größeren Wellenlängen, je weiter sich das Licht ausbreitet. Daher kann die Rot­verschiebung der beobachteten UV-Absorptionslinie in eine Entfernung von der Erde umgerechnet werden. Je nach dem Verhältnis zwischen neutralem und ionisiertem Wasserstoff­gas erreicht der Absorptionsgrad beziehungsweise umgekehrt die Durch­lässigkeit durch eine solche Wolke einen bestimmten Wert. Wenn das Licht auf eine Region mit einem hohen Anteil an ionisiertem Gas trifft, kann es die UV-Strahlung nicht so effizient absorbieren. Genau nach dieser Eigenschaft hat das Team gesucht.

Das Quasarlicht durchläuft auf seinem Weg viele Wasserstoff­wolken in unter­schiedlichen Entfernungen, die jeweils bei kleineren Rot­verschiebungen vom UV-Bereich ihren Abdruck hinterlassen. Theoretisch sollte die Analyse der Änderung der Durchlässigkeit pro rot­verschobener Linie den Zeitpunkt oder die Entfernung ergeben, zu der das Wasserstoffgas vollständig ionisiert war.

Leider ist die Sachlage noch komplizierter. Seit dem Ende der Reionisation ist nur der inter­galaktische Raum vollständig ionisiert. Es gibt ein Netz aus teilweise neutraler Materie, das Galaxien und Galaxien­haufen miteinander verbindet, das „kosmische Netz“. Wo der Wasserstoff neutral ist, hinterlässt er im Quasarlicht ebenfalls seine Spuren.

Um diese Einflüsse unterscheiden zu können, wandte das Team ein physikalisches Modell an, das Veränderungen im Licht reproduziert, die in einer viel späteren Epoche gemessen wurden, als das intergalaktische Gas bereits vollständig ionisiert war. Als sie das Modell mit ihren Ergebnissen verglichen, entdeckten sie eine Abweichung bei einer Wellenlänge, bei der die 121,6-Nanometer-Linie um einen Faktor von 5,3 verschoben war, was einem kosmischen Alter von 1,1 Milliarden Jahren entspricht. Dieser Übergang zeigt den Zeitpunkt an, an dem Veränderungen im gemessenen Quasar­licht nicht mehr mit den Fluktuationen des kosmischen Netzes allein vereinbar sind. Das war also der späteste Zeitraum, in dem neutrales Wasserstoff­gas im inter­galaktischen Raum vorhanden gewesen sein muss und anschließend ionisiert wurde. Das war das Ende der „kosmischen Dämmerung“.

„Dieser neue Datensatz ist ein entscheidender Prüfstein, an dem sich numerische Simulationen der ersten Milliarden Jahre des Universums in den kommenden Jahren messen lassen werden“, sagt Frederick Davies. Sie werden helfen, die ionisierenden Quellen, die aller­ersten Generationen von Sternen, zu charakterisieren.

„Die aufregendste Richtung für unsere weitere Arbeit ist die Ausweitung auf noch frühere Zeiten, auf die Mitte des Reionisations­prozesses“, betont Sarah Bosman. „Leider bedeuten größere Entfernungen, dass diese früheren Quasare deutlich schwächer sind. Daher wird die größere Sammelfläche von Teleskopen der nächsten Generation wie dem ELT entscheidend sein.“

MPIA / DE

 

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