27.04.2021

Am Takt der Neuronen

Schnelle Hirnsignale lassen sich erstmals nichtinvasiv per Magnet-Enzephalographie messen.

Das Gehirn verarbeitet Informationen über langsame und schnelle Hirnströme. Um Letztere zu untersuchen, mussten bisher allerdings Elektroden in das Gehirn eingeführt werden. Forscher der Charité – Universitäts­medizin Berlin und der Physikalisch-Technischen Bundes­anstalt (PTB), Institut Berlin, haben diese schnellen Hirnsignale jetzt erstmals von außen sichtbar gemacht – und eine erstaunliche Variabilität festgestellt. Wie das Team berichtet, verwendete es dazu einen besonders empfindlichen Magnet-Enzephalographen.

 

Abb.: Erstmals konnte bei nichtinvasiv gemessenen schnellen Hirnströmen eine...
Abb.: Erstmals konnte bei nichtinvasiv gemessenen schnellen Hirnströmen eine deutliche Variabilität von Reiz zu Reiz (Zeilen) gezeigt werden, sowohl in der zeitlichen Abfolge der Aktions­potenziale (Verschiebungen der blauen bzw. roten vertikalen Banden) als auch in ihrer Stärke (Farbintensität). (Bild: Charité / G. Waterstraat)

Die Informationsverarbeitung im Gehirn ist einer der komplexesten Prozesse des Körpers; Störungen wirken sich nicht selten als schwer­wiegende neurologische Erkrankungen aus. Die Erforschung der Signalweitergabe im Gehirn ist deshalb der Schlüssel zum Verständnis verschiedenster Krankheiten – methodisch aber stellt sie Forscher vor große Herausforderungen. Um die Nervenzellen bei ihrer schnellen Arbeit beobachten zu können, ohne Elektroden direkt ins Gehirn zu legen, haben sich zwei Technologien mit hoher Zeitauflösung etabliert: die Elektro-Enzephalo­graphie (EEG) und die Magnet-Enzephalo­graphie (MEG). Mit beiden Methoden lassen sich Hirnströme durch die Schädeldecke sichtbar machen – zuverlässig allerdings nur die langsamen, nicht die schnellen.

Langsame Ströme –  postsynaptische Potenziale – entstehen, wenn Nervenzellen Signale von anderen Nervenzellen empfangen. Feuern sie dagegen selbst und geben damit Informationen an nach­geschaltete Neuronen oder auch Muskeln weiter, verursacht das schnelle Ströme mit einer Dauer von nur einer Tausendstel­sekunde: die Aktions­potenziale. „Von außen konnten wir Nervenzellen bisher also nur beim Empfangen, nicht aber beim Weiterleiten von Informationen nach einem einzelnen Sinnesreiz beobachten“, erläutert Gunnar Waterstraat von der Klinik für Neurologie mit experimenteller Neurologie am Charité Campus Benjamin Franklin. „Man könnte sagen: Wir waren gewissermaßen auf einem Auge blind.“ Ein Team um Waterstraat und Rainer Körber von der PTB hat jetzt die Grundlage dafür gelegt, dass sich das ändert. Der interdisziplinären Forschungsgruppe ist es gelungen, die MEG-Technologie so empfindlich zu machen, dass sie auch schnelle Hirnströme als Antwort auf einzelne Sinnesreize erkennen kann.

Das erreichte das Team, indem es das Eigen­rauschen des MEG-Geräts deutlich reduzierte. „Die Magnetfeld-Sensoren in einem MEG-Gerät werden in flüssiges Helium getaucht, um sie auf minus 269 Grad Celsius zu kühlen“, erklärt Körber. „Dazu ist das Kühlgefäß sehr aufwendig isoliert. Diese Superisolierung besteht allerdings aus mit Aluminium bedampften Folien, die selbst ein magnetisches Rauschen verursachen und deshalb kleine Magnetfelder beispielsweise von Nervenzellen überlagern. Wir haben die Super­isolierung des Kühl­gefäßes jetzt so konstruiert, dass dessen Rauschen nicht mehr messbar ist. So ist es uns gelungen, die MEG-Technologie um das Zehnfache empfindlicher zu machen.“

Dass das neue Instrument tatsächlich in der Lage ist, schnelle Hirnströme zu erfassen, zeigte das Forschungs­team am Beispiel der Reizung eines Armnervs. Dazu wurde ein Nerv am Handgelenk bei vier gesunden Probanden elektrisch stimuliert und der MEG-Sensor unmittelbar über dem Hirn­areal positioniert, das für die Verarbeitung von Sinnesreizen der Hand verantwortlich ist. Um Stör­quellen wie Stromnetze oder elektronische Bauteile auszuschließen, fanden die Messungen in einer elektro­magnetisch abgeschirmten Messkammer der PTB statt. Wie die Forscher feststellten, ließen sich so Aktionspotenziale einer kleinen Gruppe synchron aktivierter Neurone messen, die in der Hirnrinde in Antwort auf einzelne Stimulations­reize entstanden.

„Wir haben also das erste Mal nichtinvasiv den Nervenzellen im Gehirn beim Senden von Informationen nach einem Berührungsreiz zugeschaut“, betont Waterstraat. „Interessanterweise konnten wir dabei beobachten, dass diese schnellen Hirnströme trotz konstanter Stimulation nicht gleichförmig sind, sondern sich von Reiz zu Reiz verändern. Diese Veränderungen waren zudem unabhängig von den langsamen Hirn­signalen. Die Information über eine Berührung der Hand wird vom Gehirn also erstaunlich variabel verarbeitet, obwohl alle Nervenreize gleichartig waren.“

Dass die Wissenschaftler jetzt einzelne Reizantworten miteinander vergleichen können, eröffnet der neurologischen Forschung die Möglichkeit, bisher ungeklärte Fragen zu untersuchen: Welchen Einfluss haben Faktoren wie Aufmerksamkeit oder Müdigkeit auf die Informationsverarbeitung im Gehirn? Oder das zeitgleiche Auftreten weiterer Reize? Auch zu einem tieferen Verständnis und einer besseren Therapie neurologischer Erkrankungen könnte das hochempfindliche MEG-System beitragen. Beispiels­weise sind die Epilepsie und das Parkinson-Syndrom unter anderem mit Störungen der schnellen Hirnsignale verbunden. „Mit der optimierten MEG-Technologie haben wir jetzt ein grundlegendes Instrument mehr in unserem neuro­wissenschaftlichen Werkzeugkasten, um all diese Fragen nicht­invasiv zu adressieren“, sagt Waterstraat.

PTB / DE

 

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