Anregungen magnetischer Valenzbindungen
Experimenteller Nachweis fundamentaler Prozesse in Quanten-Spinflüssigkeiten gelungen.
Das Streben magnetischer Momente, sich gegenseitig auszurichten, führt in Magneten zu stabiler magnetischer Ordnung. Einige wenige Magneten widersetzen sich jedoch diesem Trend. Selbst beim Abkühlen zum Temperaturnullpunkt ordnen sich ihre Momente nicht starr, sondern bilden einen flüssigkeitsartigen Quantenzustand. Forscher aus Deutschland und China charakterisieren und erklären dies jetzt mit einer ständigen Neuausrichtung magnetischer Paarzustände, analog zu chemischen Resonanzbindungen.
Magneten lassen sich nur schwer brechen – ihre Bausteine, die magnetischen Momente, werden von Elektronen getragen, welche aufgrund ihrer quantenmechanischen Natur komplex verschränkte Vielteilchenzustände bilden. Während das normalerweise zu einer gefrorenen Anordnung der Momente führt, bildet die Quantenspinflüssigkeit eine exotische Ausnahme. Analog zu normalen Flüssigkeiten weisen Quantenspinflüssigkeiten zwar eine feste Ausrichtung der Momente auf. Aber während normale Flüssigkeiten bei hinreichend tiefer Temperatur einfrieren, können die Momente in Quantenspinflüssigkeiten diesen ungeordneten Zustand selbst bis zum absoluten Nullpunkt beibehalten. Das wurde bereits 1973 vom späteren Nobelpreisträger P. W. Anderson vorhergesagt. Als Erklärung schlug er eine quantenmechanische Überlagerung magnetischer Paarzustände vor, die er als Resonanz-Valenzbindung bezeichnete.
In der Chemie treten Valenzbindungen typischerweise zwischen zwei benachbarten Atomen auf. Sie beinhalten Elektronenpaare, deren Aufenthaltswahrscheinlichkeit zwischen den Atomen zu einer Bindung führt. Das Pauli Prinzip besagt, dass in einem Atom niemals zwei Elektronen im selben Zustand sein dürfen. Die Spins der beiden das Paar bildenden Elektronen müssen also antiparallel sein. An dieser Stelle tritt der Zusammenhang mit dem Magnetismus zu Tage. Andersons Idee war, dass Quantenspinflüssigkeiten ebenfalls aus Elektronenpaaren gebildet werden. Zwar hat dieses Konzept Andersons weitreichende Konsequenzen in der Erforschung des Magnetismus und der Hoch-Temperatur-Supraleitung. Jedoch konnte bislang kein Nachweis für solche magnetischen Valenzbindungen erbracht werden.
Praktisch alle bekannten magnetischen Materialien zeigen ein Einfrieren ihrer magnetischen Momente bei tiefen Temperaturen. „Die große Herausforderung war, ein geeignetes Material für den Nachweis magnetischer Valenzverbindungen zu finden“, so Yuesheng Li von der Uni Augsburg, einer der beteiligten Forscher. „Gleich mehrere Bedingungen müssen erfüllt werden: perfekte Dreiecksanordnung der magnetischen Momente, elektrisch robust isolierendes Verhalten, und vor allem muss die Zucht großer Einkristalle für die Neutronenstreuung möglich sein.“ Die von Li ausgewählte Verbindung YbMgGaO₄ zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass sie diese Bedingungen erfüllt, sondern darüber hinaus auch durch eine gewisse strukturelle Unordnung im Vergleich mit anderen Materialien. „Unordnung ist oft nachteilig, da sie ein Einfrieren von Momenten begünstigt. Für das von uns untersuchte YbMgGaO₄ zeigen sorgfältige magnetische Messungen jedoch, dass dies nicht der Fall ist“, so Philipp Gegenwart von der Uni Augsburg.
Quantenmagnete können nur indirekt untersucht werden. Hierzu wird der Zustand leicht angeregt. Die zu beobachtenden Anregungen können als „Fingerabdruck“ des zugrundeliegenden Materialzustandes analysiert werden. Besonders gut eigenen sich Neutronen für die Anregung von Quantenmagneten, da ihre Energie und ihr Impuls ideal gesteuert und angepasst werden können. Die Neutronen-Experimente mit YbMgGaO₄ wurden am PANDA-Spektrometer im Heinz Maier Leibnitz-Zentrum in Garching durchgeführt.
Lis Team konnte zwei unterschiedliche Prozesse bestätigen, die sich aus Andersons Theorie ergeben: Der erste Prozess ist ein Aufbrechen von Valenzbindungen, das zu zwei ungepaarten Spins führt, wenn der Energieübertrag des einfallenden Neutrons die Paar-Bindungsenergie übersteigt. Ein ähnlicher Effekt ist auch bei chemischen Bindungen bekannt, die durch Laser-Einstrahlung mit hinreichend hoher Energie aufgebrochen werden können, wobei dieses Aufbrechen dann chemische Reaktionen begünstigt. Bei zu niedriger Energie kann die chemische Bindung jedoch nicht aufgebrochen werden. Im Gegensatz hierzu sind in Andersons Modell auch bei niedrigen Energien Anregungsprozesse möglich. Diese führen zu einem Umordnen der Valenzbindungen, also zum Aufbrechen eines Paars bei gleichzeitiger Bildung eines anderen Paars. Dieser Prozess ist besonders interessant, da er mit fraktionalen Spinanregungen einhergeht, die für Quantenspinflüssigkeiten vorhergesagt wurden. „Da in konventionellen Magneten solche fraktionalen Anregungen unmöglich sind, ist deren Entdeckung in YbMgGaO₄ ein wichtiger Durchbruch“, so Gegenwart über die von Li gewonnenen Erkenntnisse. Jetzt gelte es zu klären, ob die beobachteten Anregungen allgemeingültig für magnetische Dreiecksgittermaterialien sind oder ob sie durch die spezielle strukturelle Unordnung in YbMgGaO₄ ermöglicht werden.
U. Augsburg / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
Y. Li et al.: Rearrangement of uncorrelated valence bonds evidenced by low-energy spin excitations in YbMgGaO₄, Phys. Rev. Lett. 122, 137201 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.137201 - Lehrstuhl Experimentalphysik VI, Zentrum für elektronische Korrelationen und Magnetismus, Universität Augsburg