„Anschalten“ geht länger als „Ausschalten“
Forscher am Paul Scherrer Institut haben mittels Synchrotronstrahlung herausgefunden, wie lange der Aufbau von Magnetismus in einem Metall dauert und wie der Vorgang abläuft.
Wenn die Metalllegierung Eisen-Rhodium magnetisiert wird, dauert dieser Prozess deutlich länger als der gegenläufige Vorgang der Entmagnetisierung. Diese Erkenntnis haben Forscher des Paul Scherrer Instituts PSI in Villigen (Schweiz) zusammen mit einem internationalen Forscherteam gewonnen. Der Aufbau des Magnetismus erfolgt in zwei Schritten: Zunächst bilden sich kleine magnetische Regionen, das Magnetfeld zeigt jedoch in zufällige Richtungen. Dann erst drehen sich diese Regionen in eine gemeinsame Richtung. Diese Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung sind relevant für die Computerindustrie: Sie zeigen, welche Prozesse die Eigenschaften magnetischer Datenspeicherung begrenzen und wo es Potential für Verbesserung gibt.
Abb. Die beiden Phasen der Magnetisierung in FeRh: zuerst bilden sich magnetische Domänen, deren Magnetfelder in zufällige Richtungen weisen. Dann richten sich diese Domänen gleich aus und erzeugen so ein äußeres Magnetfeld. (Bild: PSI)
Physiker sind von der Kraft der Magnete seit deren Entdeckung in der Antike fasziniert und wollen sie verstehen. Vor rund 20 Jahren haben sie herausgefunden, wie lange es dauert, ein Material vom magnetischen in den nichtmagnetischen Zustand zu überführen. Forscher des PSI haben nun zusammen mit Kollegen aus Deutschland und den USA den gegenteiligen Prozess untersucht, also das „Anschalten“ des Magnetismus. Sie konnten dabei zeigen, dass es etwa 0,3 Nanosekunden dauert, bis die Metalllegierung Eisen-Rhodium magnetisiert ist. Für die Forscher ist das eine vergleichsweise lange Zeit. Denn das „Anschalten“ von Magnetismus dauert 300 Mal länger als das „Ausschalten“. „Es ist wie beim Hausbau: Es nimmt mehr Zeit in Anspruch, ein Haus zu bauen als es abzureissen“, sagt Christoph Quitmann, der das Experiment vor fünf Jahren angeregt hat und seither leitet.
Die Forscher hat nicht nur interessiert, wie schnell Eisen-Rhodium vom nichtmagnetischen in den magnetischen Zustand übergeht, sondern auch, wie sich dabei der Magnetismus im Material aufbaut. Jedes Eisenatom hat einen Spin, es benimmt sich wie eine winzige Kompassnadel. Ein Material ist magnetisch, wenn all diese Spins in die gleiche Richtung zeigen. Dann summiert sich ihre magnetische Kraft und wird messbar. Das „Anschalten“ des Magnetismus ist mithin der Vorgang, die Spins, die im unmagnetisierten Zustand unterschiedliche Orientierungen haben, in dieselbe Richtung zu bringen. Die Forscher konnten nun zeigen, dass der Magnetisierungsvorgang nicht gleichmässig abläuft, etwa von einer Seite der Materialprobe zur anderen oder vom Zentrum zum Rand, sondern in zwei Phasen. Der Magnetismus entsteht gleichzeitig, aber unabhängig in vielen kleinen Regionen des Materials, den Domänen (Phase 1). Später (Phase 2) drehen sich die Domänen in eine gemeinsame Richtung. In Phase 1 – der Nukleation – zeigen die Spins jeder Domäne in eine zufällige Richtung, der Magnetismus von zwei unterschiedlich ausgerichteten Domänen kann sich deshalb aufheben. In Phase 2 – der Reorientierung – werden die Spins der Domänen in eine einzige gemeinsame Richtung gedreht. So wird die magnetische Kraft nach aussen wirksam. Die Nukleation läuft vergleichsweise rasch ab, die nachfolgende Reorientierung nimmt länger in Anspruch und bestimmt damit die Gesamtdauer des Magnetisierungsvorgangs.
Für ihre Untersuchungen nutzten die Forscher am PSI die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. Zur Untersuchung des Magnetismus beleuchten die Forscher die Materialprobe mit einem kurzen Puls eines Röntgenstrahls. Dieser wird beim Auftreffen auf die Atome gebeugt. Aus dem Grad der Ablenkung errechnen die Forscher den Abstand der Atome. Anschließend wird die Materialprobe durch einen Laserpuls erhitzt und dadurch magnetisch (für Eisen-Rhodium ist das bei 120 Grad Celsius der Fall). Nach einer kurzen Zeitverzögerung misst ein weiterer Röntgenpuls wiederum den Abstand der Atome. Dieser ist im magnetischen Zustand grösser. Mit dieser Versuchsanordnung können die Forscher beobachten, wie schnell sich der Abstand zwischen den Atomen vergrößert – und damit unmittelbar nachvollziehen, wieviel Zeit der Aufbau des Magnetismus in Anspruch nimmt.
Zu den Erkenntnissen rund um das „Anschalten“ von Magnetismus haben die drei PSI-Forscher Christoph Quitmann, Simon Mariager und Gerhard Ingold beigetragen, dazu weitere Forscher aus Deutschland und den USA. Christian Back und sein Team von der Universität Regensburg stellten mit Messungen auf der Grundlage des elektrooptischen Kerr-Effekts fest, wie lange es braucht, bis über die ganze Probe hinweg der gleiche Magnetismus herrscht. Eric Fullerton und seine Kollegen vom der University of California in San Diego haben die Eisen-Rhodium-Proben hergestellt. Die Probe für die Experimente besteht aus einer nur gerade 500 Atome dicken Schicht aus Eisen und Rhodium. Damit die Atome der beiden Metalle regelmässig nebeneinander zu liegen kamen, wurden sie schichtenweise auf einen kristallinen Träger aufgedampft.
Die Forschungspartnerschaft mit Kalifornien zeigt die Richtung an, in der die Grundlagenforschung des PSI in Zukunft industriell nutzbar werden könnte. Die University of California in San Diego entwickelt nämlich mit Industriepartnern neue Computer-Festplatten. Wo immer Computerdaten heute langzeitgespeichert werden, geschieht dies magnetisch. Um die Speicherkapazität auszureizen, sind Materialien gefragt, bei denen die Magnetisierung möglichst schnell vonstatten geht. Eisen-Rhodium, mit dem die PSI-Forscher bisher arbeiten, ist in Diskussion für die nächste Generation von Computer-Festplatten. „Wir untersuchen, welches die physikalisch beschränkenden Prozesse sind, wenn es um die weitere Miniaturisierung von Datenspeichern oder die Erhöhung von deren Geschwindigkeit geht“, sagt Quitmann. Er und seine Kollegen werden in Zukunft weitere Materialien auf ihre Magnetisierungseigenschaften hin untersuchen. Für die Forschungsarbeit werden sie ab 2016 neben der SLS auch den Röntgenlaser SwissFEL benutzen, die neue, noch leistungsfähigere Großforschungsanlage am PSI, die zurzeit in Bau ist.
PSI / PH