16.11.2017

Antimaterie-Überschuss bleibt rätselhaft

Zwei Pulsare sind unschuldig am mysteriösen Überschuss an Antiteilchen im Erdorbit.

Ein Satelliten-Instrument hat 2008 unerwartet viele Posi­tronen gemessen und damit einige Aufregung unter Wissen­schaftlern verursacht. Diese über­raschende Beobachtung haben andere Detektoren betätigt, auch an Bord der inter­nationalen Raumstation ISS. Woher diese Posi­tronen kommen, ist bis heute ungeklärt. Die Vermutungen reichen von noch unbekannten Prozessen mit Dunkler Materie bis hin zu nahen, mittel­alten Pulsaren als Quellen. Pulsare sind die kompakten Überreste explo­dierter masse­reicher Sterne. Entlang der Achse ihres Magnet­felds schleudern sie energie­reiche Teilchen ins All.

Abb.: Das HAWC-Observatorium in Mexiko mit dem Pico de Orizaba im Hintergrund. (Bild: J. A. Goodman)

Die Wissen­schaftler der HAWC-Kolla­boration haben nun mit ihrem Gamma­strahlen-Obser­vatorium High Altitude Water Cherenkov Detector (HAWC) zwei der verdäch­tigten Pulsare („Geminga“ und „PSR B0656+14“) samt ihrer Umgebung ins Visier genommen und die Form dieser Objekte im höchst­energetischen Gammalicht sowie ihr Energie­spektrum detailliert vermessen. Die Ergeb­nisse sprechen Geminga und PSR B0656+14 frei. Rubén López-Coto vom MPI für Kernphysik erklärt: „Die mit HAWC gemessenen Gamma­strahlen bestätigen, dass aus der Umgebung der beiden Pulsare energie­reiche Positronen entkommen, aber unsere Analyse ihrer Aus­breitung zeigt auch klar, dass sie keinen wesent­lichen Beitrag zum beobach­teten Posi­tronen-Überschuss leisten können.“ Denn die von den beiden Pulsaren ins All geschleu­derten Teilchen sind viel langsamer als erwartet und können die Erde deshalb nicht erreichen. „Das hat möglicher­weise erhebliche Auswir­kungen auf unser generelles Ver­ständnis der kosmischen Strahlung“, ergänzt Jim Hinton, der am MPI für Kernphysik die Abteilung „Nicht­thermische Astro­physik“ leitet.

Das HAWC-Obser­vatorium steht an der Flanke des Vulkans Sierra Negra im National­park Pico de Orizaba in Mexiko. Es besteht aus 300 dicht beieinander stehenden Tanks mit je 7,3 Metern Durchmesser und einer Höhe von 4,5 Metern, die mit hoch­reinem Wasser gefüllt sind. Wenn höchst­energetisches Gamma­licht auf die Lufthülle der Erde trifft, zerschlägt es dort Atome, sodass Kaskaden von Elementar­teilchen entstehen. Diese Teilchen­schauer erzeugen in den Wasser­tanks blaue Licht­blitze, die von empfind­lichen Licht­sensoren regis­triert werden. Daraus können die Forscher Energie und Herkunfts­richtung des ursprüng­lichen Gamma­strahls ableiten.

Trägt man die Herkunft aller beobach­teten Gamma­strahlen in eine Himmels­karte ein, entstehen Bilder der einzelnen Gamma­strahlungs-Quellen. Dazu zählen die Überreste explo­dierter Sterne; aller­dings kommt das höchst­energetische Gamma­licht nicht von den Stern­leichen direkt. Vielmehr entsteht es in ihrem Trümmerfeld, wenn extrem beschleu­nigte Teilchen auf nieder­energetisches Licht treffen. Die Größe dieses Trümmerf­elds hängt davon ab, wie schnell sich die Materie von ihrem kosmischen Beschleuniger entfernt. So konnten die HAWC-Wissen­schaftler abschätzen, wie viele Positronen von den beiden Pulsaren die Erde erreicht haben könnten.

Abb.: Weitwinkelbild der Region um die beiden verdächtigten Pulsare im höchstenergetischen Gammalicht. Geminga erscheint etwa fünfmal so groß wie der Vollmond. (Bild: HAWC-Kollab.)

Entscheidend für die Messungen war der Weitwinkel­blick von HAWC, das diese ausge­dehnten Gamma­quellen als Ganzes erfassen kann. Nur so lässt sich die Ausbreitung der Teilchen direkt bestimmen. Andere Teleskop­systeme haben dafür ein zu kleines Sichtfeld. „Diese Messung illus­triert schön, welches große Potenzial die Methode von HAWC – die Schauer­teilchen am Boden nachzu­weisen – für die Gamma­strahlen-Astronomie hat. Sie ergänzt hervor­ragend die Möglich­keiten von Tsche­renkow-Teleskopen”, unter­streicht Hinton.

Auch wenn die beiden verdäch­tigten Pulsare unschuldig sind, ist es immer noch möglich, dass andere Pulsare für den mysteriösen Posi­tronen-Überschuss verant­wortlich sind. Deshalb wird HAWC weiterhin diese Objekte beobachten. Mit dem erwei­terten Instrument und fortge­schrittenen Analyse­techniken wird sich ein detail­reicherer Blick darauf ergeben. Der HAWC-Kolla­boration gehören insgesamt 34 Institute aus Mexiko, den USA und Europa an. Das MPI für Kern­physik ist als einziges deutsches Institut an HAWC beteiligt. Es wirkt maßgeb­lich an der Erwei­terung des Detektor­felds mit kleineren Wasser­tanks mit, die derzeit in lockerer Anordnung um die großen Tanks herum aufgebaut werden. Sie verbessern ganz wesentlich die Charak­terisierung von Teilchen­schauern, die im Randbereich des Haupt-Detektor­felds auftreffen.

MPIK / JOL

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