Antiprotonen in einer Superflüssigkeit

Ein neuer Weg für hochsensitive Messungen an Antimaterie.

Wenn sie einen Blick in die Schattenwelt der Antimaterie werfen wollen, müssen Forscher auf ausgeklügelte technische Tricks zurückgreifen. Sie sollen verhindern, dass die Antimaterie­proben mit der normalen Materie in Kontakt kommen. Diese Isolierung ist von entscheidender Bedeutung, da sich Antimaterie und Materie bei einem Kontakt miteinander sofort gegenseitig zerstören. Trotzdem schafften es Wissenschaftler in einem internationalen Team unter Federführung des MPI für Quantenoptik, Materie und Antimaterie zu exotischen, hybriden Atomen aus Helium zu kombinieren, die für kurze Zeit stabil bleiben. Jetzt haben die Forscher überdies eine Möglichkeit entdeckt, die so gebundenen Antiteilchen sehr genau spektroskopisch zu untersuchen.

Abb.: Antiprotonisches Helium­atom im super­flüssigen Zustand, das in...
Abb.: Antiprotonisches Helium­atom im super­flüssigen Zustand, das in flüssigem Helium schwebt. Das Antiproton ist durch die Elektronen­hülle des Helium­atoms geschützt und vermeidet so den sofortigen Zerfall. (Bild: C. Hohmann, MCQST)

Bei ihren Experimenten am europäischen Kern­forschungs­zentrum CERN tauchten sie die bizarren atomaren Gebilde in flüssiges Helium und kühlten dieses bis auf Temperaturen nahe beim absoluten Nullpunkt ab – wo das Helium in einen superfluiden Zustand übergeht. Die Ergebnisse des Experiments waren für die Wissenschaftler besonders überraschend, weil die hybriden Antimaterie-Materie-Atome trotz ihrer dichten, flüssigen Umgebung sehr empfindlich und genau auf Laserlicht reagiert haben.

„Spannend sind Experimente an Antimaterie vor allem im Hinblick auf fundamentale Gesetz­mäßig­keiten der Physik“, erklärt Teamleiter Masaki Hori. So verlangt das Standardmodell der Teilchenphysik, dass sich Teilchen und ihre Antiteilchen lediglich im Vorzeichen ihrer elektrischen Ladung unterscheiden. Nach dem Standardmodell der Physik sind die anderen Eigenschaften identisch. „In unseren bisherigen Experimenten haben wir keinen Hinweis darauf gefunden, dass sich die Massen von Protonen und Antiprotonen auch nur im Geringsten unterscheiden“, berichtet Hori. „Wenn ein solcher Unterschied, wie gering er auch sein mag, nachgewiesen werden könnte, würde das die Grundlagen unseres derzeitigen Weltbildes erschüttern.“

Doch vielleicht sind die verfügbaren experi­men­tellen Verfahren nur nicht empfindlich genug, um feine Unterschiede aufzuspüren? „Wir können das nicht ausschließen, bevor wir es nicht tatsächlich gemessen haben“, so Hori. Daher feilen Wissenschaftler weltweit an Techniken, um die Merkmale von Antiteilchen noch genauer zu untersuchen. „Dazu lässt man Atome oder Moleküle für spektro­skopische Messungen beispielsweise in Vakuumkammern magnetisch schweben oder sperrt sie in Ionenfallen ein“, erklärt Hori. „Das hybride Heliumatom haben wir im Team bisher dazu verwendet, die Massen von Antiprotonen und Elektronen präzise miteinander zu vergleichen.“ Mit den neuesten Erkenntnissen seines Teams hat der Forscher jetzt den Weg zu einer weiteren, sehr sensiblen Messmethode geebnet: die hochaufgelöste optische Spektroskopie an Antiprotonen-Helium-Atomen in einer supraflüssigen Umgebung.

Um die exotischen Heliumatome mit darin enthaltenen Antiprotonen zu erzeugen, nutzten die Forscher den Antiprotonen-Entschleuniger am CERN – eine weltweit einzigartige Anlage, die es ermöglicht, die Antimaterie­teilchen, die bei Zusammen­stößen von energie­reichen Protonen entstehen, abzubremsen. Die langsame Geschwindigkeit der Antiprotonen macht sie ideal nutzbar für Experimente wie die des Teams um Hori. Die Forscher mischten die langsamen Antiprotonen mit flüssigem Helium, das sie auf Temperaturen von wenigen Grad über dem absoluten Nullpunkt bei minus 273 Grad Celsius abkühlten. Dabei fingen Atome des Heliums einen kleinen Teil der Antiprotonen ein. Jedes eingefangene Antiproton ersetzte eines der beiden Elektronen, die normalerweise einen Helium-Atomkern umgeben – und formten so ein Gebilde, das lange genug stabil blieb, um es spektroskopisch zu untersuchen.

„Bisher dachte man, dass sich Antimaterie-Atome, die in Flüssigkeiten eingebettet sind, nicht durch hoch­auf­lösende Spektroskopie mit Laserstrahlen untersuchen lassen“, sagt Hori. Denn die im Vergleich etwa zu einem Gas intensiven Wechsel­wirkungen zwischen den dicht gepackten Atomen oder Molekülen der Flüssigkeit führen zu einer starken Verbreiterung der Spektral­linien. Diese Linien sind Abbilder von Resonanzen, bei denen Energie aus dem Laserstrahl zur Anregung bestimmter atomarer Zustände aufgenommen wird. Sie sind damit eine Art Finger­abdruck jedes atomaren Teilchens. Ihre genaue Frequenz sowie ihre Form verraten den Forschern Details über die Eigenschaften der untersuchten Atome – und die Kräfte, die auf die Antiteilchen wirken. Doch durch die Verbreiterung der Linien werden diese Informationen überdeckt. Hori und seinem Team gelang es erstmals, das Verschmieren der Spektral­linien in einer Flüssigkeit zu unterbinden.

In einer Reihe von Experimenten nahmen die Wissenschaftler die anti­protonischen Helium-Atome bei unterschiedlichen Temperaturen unter die spektro­skopische Lupe. Dazu bestrahlten sie die Helium-Flüssigkeit mit dem Licht eines Titan-Saphir-Lasers, das zwei markante Resonanzen der Antiprotonen-Atome bei zwei verschiedenen Frequenzen anregte. Die überraschende Entdeckung: „Sank die Temperatur unter die kritische Temperatur von 2,2 Kelvin, bei der das Helium in einen superfluiden Zustand übergeht, verwandelte sich schlagartig die Gestalt der Spektral­linien“, berichtet Anna Sótér von der ETH Zürich. „Aus den bei höherer Temperatur sehr breiten und unregel­mäßig geformten wurden schmale und gleichförmige Linien.“

Die superfluide Phase ist ein besonderer flüssiger Zustand, der unter anderem durch das Fehlen einer inneren Reibung gekenn­zeichnet ist. Das quanten­physi­kalische Phänomen ist typisch für Helium bei extrem tiefen Temperaturen. „Wie die markante Veränderung der Spektral­linien des Antiprotons in einer solchen Umgebung zustande kommt und was dabei physikalisch geschieht, wissen wir bislang nicht“, sagt Hori. „Wir waren davon selbst überrascht.“

Doch die Möglichkeiten, die der Effekt bietet, sind weitreichend. Denn die Verschmälerung der Resonanz­linien ist so drastisch, dass sich bei einer Anregung mit Licht die Hyper­fein­struktur auflösen lässt. Das deutet darauf hin, dass sich in supra­flüssigem Helium andere hybride Heliumatome mit verschiedenen Arten von Antimaterie oder mit exotischen Teilchen erzeugen lassen könnten, um ihre Reaktion auf Laserlicht im Detail zu untersuchen und ihre Masse zu bestimmen. Ein Beispiel dafür sind pionische Heliumatome, die vor Kurzem im 590-Mega­elektronen­volt-Zyklotron des Paul-Scherrer-Instituts in der Schweiz mittels Laser­spektro­skopie untersucht wurden.

Zudem könnten die scharfen Spektral­linien hilfreich sein beim Nachweis von Antiprotonen und Anti­deuteronen in der kosmischen Strahlung. Ihnen sind Forschern bereits seit Jahren auf der Spur, etwa mit Experimenten an Bord der Inter­nationalen Raumstation. Demnächst werden Wissenschaftler auch einen Testballon über der Antarktis starten – mit einem Instrument an Bord, das Antiprotonen und Anti­deuteronen aufspüren kann, die möglicherweise in sehr großen Höhen in der Atmosphäre existieren.

„Detektoren mit superfluidem Helium könnten solche Versuche unterstützen und wären geeignet, Antiteilchen aus dem All einzufangen und zu analysieren“, betont Hori. Das würde womöglich zur Lösung eines anderen großen Rätsels beitragen: der Frage nach dem Wesen der dunklen Materie. In einigen Theorien wird angenommen, dass bei der Wechsel­wirkung dunkler Materie im Halo unserer Galaxie Antiteilchen entstehen, die dann zur Erde gelangen können. Ausgerechnet Antimaterie könnte so Licht in dieses Dunkel bringen.

MPQ / RK

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