Asteroid mithilfe des Sonnenlichts gewogen
Jarkowski-Effekt ermöglicht Massenbestimmung von 1999 RQ36 und erleichtert damit die OSIRIS-REx-Mission.
Der Asteroid 1999 RQ36 gehört zur Klasse der potenziell gefährlichen Asteroiden. Er ist mit knapp einem halben Kilometer Durchmesser groß genug für eine massive Kollision und befindet sich auf einem erdnahen Orbit. Seine Einschlagwahrscheinlichkeit beträgt über die nächsten Jahrhunderte ungefähr ein Tausendstel. Zu einem besseren Verständnis dieses und anderer Asteroiden soll in den kommenden zehn Jahren die Weltraummission OSIRIS-REx beitragen. OSIRIS-REx steht für Origins, Spectral Interpretation, Resource Identification, Security, Regolith Explorer. Im Jahr 2016 soll die Raumsonde starten, 2019 den Asteroiden erreichen und nach einem 505-tägigen Rendezvous dann 2023 mit 60 Gramm Probenmaterial zur Erde zurückkehren.
Abb.: Aus Radardaten erzeugtes Computerbild des Asteroiden 1999 RQ36. (Bild: NASA / NSF / Cornell / Nolan)
Das Missionsdesign und das -risiko hängen stark von den genauen Parametern von 1999 RQ36 ab. Wie Steve Chesley von den Jet Propulsion Laboratories der Nasa berichtet, sind deshalb die beteiligten Forscher von den neuesten Messungen positiv überrascht. Präzisionsmessungen des Asteroiden mittels Radar und Infrarot haben eine Bestimmung der Masse und damit auch der Dichte des Asteroiden möglich gemacht. Die Dichte von 1999 RQ36 liegt bei 0,97 ± 0,15 Gramm pro Kubikzentimeter. Bei einer Dichte des Asteroidenmaterials von 2 bis 2,5 Gramm pro Kubikzentimeter lässt das auf eine Porösität von 50 bis 60 Prozent schließen. OSIRIS-REx sollte auf diesem hochporösen Stein- und Staubbrocken also wenig Probleme mit der Probenentnahme haben.
Die Messung der Dichte verdankt sich hochpräzisen Bahnmessungen und dem Jarkowski-Effekt. Dieser im 19. Jahrhundert von einem russisch-polnischen Ingenieur beschriebene Effekt entsteht dadurch, dass ein langsam rotierender Körper seine Wärmestrahlung nicht in Richtung Sonne zurückstrahlt, sondern unter einem gewissen Winkel dazu. Hierdurch ergibt sich ein Strahlungsdruck, der die Asteroidenbahn beeinflusst – wenn auch nur schwach. Bei einem Asteroiden wie 1999 RQ36 mit rund 68 Millionen Tonnen Gewicht entspricht der Jarkowski-Effekt gerade einmal der Gewichtskraft von drei Trauben auf der Erde. Und dies auch nur bei der stärksten Annäherung des Asteroiden an die Sonne, wenn die Wärmestrahlung am stärksten ist. Dieses Phänomen ist für Asteroiden aber stärker als der reine Strahlungsdruck der Sonnenstrahlung. Damit liefert der Jarkowski-Effekt die stärkste nichtgravitative Beschleunigung.
Abb.: Künstlerische Darstellung der OSIRIS-REx-Raumsonde. (Bild: NASA / Goddard / University of Arizona)
Der Jarkowski-Effekt hängt von mehreren Parametern ab: von der thermischen Trägheit, der Dichte, dem Durchmesser und der Bahn des Asteroiden. Die thermische Trägheit konnten Wissenschaftler mit dem Spitzer-Weltraumteleskop durch Infrarotmessungen bestimmen. Den Durchmesser bestimmte man durch Radarmessungen zu 493 ± 20 Metern. Um aus den bekannten Größen die Dichte zu ermitteln, musste bei einem so kleinen Effekt die Bahn über einen langen Zeitraum mit höchster Genauigkeit beobachtet werden.
Wissenschaftler des Arecibo- und des Goldstone-Teleskops konnten mit Hilfe von Radarentfernungs- und Doppler-Messungen sowie optischen astrometrischen Beobachtungen die Bahn von 1999 RQ36 so genau bestimmen wie bei keiner anderen Asteroidenbahn zuvor. Die Bahnänderung durch den Jarkowski-Effekt betrug über zwölf Jahre gerade einmal 160 Kilometer. Wichtig waren hierzu insbesondere Messungen aus den Jahren 1999 und 2005, als der Asteroid vergleichsweise nah an der Erde vorbeizog und man bei einer Distanz von 30 Millionen Kilometern bis zu 300 Meter Genauigkeit erreichen konnte. Im Jahr 2135 wird der Asteroid die Erdbahn innerhalb der Mondbahn kreuzen. Die Gefahr einer Kollision besteht jedoch nicht.
Nicht nur bei den Messungen, sondern auch bei der Berechnung der Asteroidenbahn mussten die Wissenschaftler mit höchster Präzision arbeiten. Sie berücksichtigten deshalb in ihren Modellen nicht nur den gravitativen Einfluss von Sonne und Planeten unseres Sonnensystems, sondern auch den des Erdmondes sowie 17 weiterer kleiner Himmelskörper. Außerdem berechneten sie die relativistischen Effekte der Raumkrümmung durch Sonne, Planeten und Erdmond, auch wenn sich hier nur der Einfluss von Sonne und Erde als relevant erwies.
Von den jetzt vorgestellten Ergebnissen wird nicht nur die Mission OSIRIS-REx profitieren. Wie Steve Chelsey betont, „verringern die neuen Ergebnisse das Missionsrisiko deutlich.“ Man hat erstmals auch die Masse eines Asteroiden bestimmen können, ohne dessen gravitative Wechselwirkung mit anderen Himmelskörper oder Raumsonden messen zu müssen. Kombinierte Radar- und Infrarotmessungen sind mit Chelseys Worten deshalb eine hochinteressante neue Möglichkeit, „über den Jarkowski-Effekt die physikalischen Eigenschaften von Asteroiden zu untersuchen, die wir nicht mit Raumsonden besuchen können.“
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
PH