Astronautentraining in den Hochalpen
Mit dem Blick auf Weltraummissionen untersuchen DLR-Mediziner Ursachen und Folgen der Höhenkrankheit.
Kopfschmerzen, Übelkeit oder auch angeschwollene Hände und Füße - das alles kommt auf die Probanden zu, die derzeit zügig zu Europas höchstgelegenem Gebäude aufsteigen, um freiwillig unter der Höhenkrankheit zu leiden. Auf der italienischen Schutzhütte Regina Margherita in den Walliser Alpen werden zehn Probanden für sechs Tage genau untersucht, wenn ihr Körper auf 4554 Metern Höhe über dem Meeresspiegel auf Sauerstoffmangel und geringen Luftdruck reagiert. „Wenn in Zukunft Astronauten in einem Habitat auf dem Mars stationiert sind, werden sie sehr wahrscheinlich in einer ähnlichen Druckatmosphäre leben und arbeiten“, sagt der ärztliche Leiter der Studie, Ulrich Limper vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. „Wir können aber bisher nicht vorhersagen, bei welchen Personen die Höhenkrankheit auftritt und was ihre Ursachen sind.“ Eine mögliche Erklärung: „Der Sauerstoffmangel in der Höhe schädigt die Gefäßbarriere. Flüssigkeit und Eiweiße wandern daher ins Bindegewebe, und es entstehen zum Teil gefährliche Ödeme im Körper, besonders in der Lunge und dem Gehirn.“
Abb.: Hoch in den Walliser Alpen unterziehen sich Probanden der Erforschung der Höhenkrankheit (Bild: G. Tiraboschi, Rifugi Monte Rosa)
Täglich werden die Teilnehmer der Studie „Ödembildung durch Aufenthalt in den Hochalpen“ – fünf Männer und fünf Frauen – daher ärztlich untersucht, um Daten zu gewinnen, aber auch um eine Gefährdung ihrer Gesundheit auszuschließen. Sie werden jeden Tag Blut, Urin und Speichel abgeben, ihren Blutdruck und ihre Herzfrequenz messen und in einem Tagebuch exakt erfassen, welche Symptome der Höhenkrankheit in welchem Ausmaß spürbar sind. Leichter, mäßiger oder sogar schwerer Schwindel? Normaler Appetit, leichte Übelkeit, Erbrechen oder schwerste Übelkeit? Zu großen Teilen wirkt sich die Höhenkrankheit auf die Befindlichkeit aus, die jeder Proband möglichst genau für sich einschätzen muss.
Tägliche Ultraschallaufnahmen von Lunge, Stirn, Händen und Füßen zeigen hingegen ganz objektiv, ob sich im Gewebe der Probanden Flüssigkeit einlagert, weil die Gefäße durchlässiger werden. Bruchstücke der Gefäßwand oder Eiweiß-Moleküle im Blut würden die Hypothese belegen, dass tatsächlich die Gefäßbarrieren durch den Aufenthalt in der Höhe für kurze Zeit geschädigt werden und somit Auslöser für die gefährlichen Wassereinlagerungen unter anderem in Lunge und Gehirn sein könnten. „Wir stehen mit unseren Untersuchungen noch am Anfang“, sagt DLR-Arzt Ulrich Limper, „aber die Ergebnisse der Studie werden uns zeigen, an welchem Mechanismus wir ansetzen müssen, um effektive Gegenmaßnahmen zu treffen.“ Da die Probanden über einen Zeitraum von sechs Tagen den Bedingungen in der Höhe ausgesetzt sind, kann auch erforscht werden, ob sich die zerstörten Kapillarwände nach einigen Tagen wieder regenerieren und der Körper sich an die Höhe anpasst.
Bei einer Weltraummission zum Mars wäre dieses Wissen für den Astronauten und seine Arbeit vor Ort wichtig: Um häufige Ausstiege aus dem Habitat möglichst unkompliziert und mit kurzer Vorbereitungszeit umzusetzen, würden die Astronauten unter einer Atmosphäre mit geringerem Druck und geringerem Sauerstoffpartialdruck im Vergleich zur Erde leben. Dadurch wäre der Körper besser auf die veränderte Atmosphäre im Raumanzug während der Ausstiege vorbereitet. „Allerdings kann zurzeit noch überhaupt nicht abgeschätzt werden, wie groß dabei das Risiko ist, dass die Astronauten unter Symptomen der Höhenkrankheit leiden würden.“ In der Internationalen Raumstation ISS leben die Astronauten hingegen in einer nahezu irdischen Atmosphäre. Druck und Sauerstoffgehalt unterscheiden sich kaum von den Bedingungen auf der Erde. Daher besteht dort auch nicht das Risiko, dass der Körper mit Symptomen der Höhenkrankheit reagiert.
Während der Körper der Astronauten bei einer zukünftigen Marsmission durch die Isolation, die Strahlung oder auch die psychologische Herausforderung unter Stress gesetzt wird, erleben die Probanden der Studie ebenfalls Stressfaktoren wie die körperliche Erschöpfung durch den Aufstieg, kühle Temperaturen und auch eine psychologische Anspannung. „Wir bewegen uns in einer ungewohnten und komplexen Umgebung, die für die Probanden ähnlich explorativ ist, wie der Mars für die Astronauten“, sagt Ulrich Limper.
Da erste körperliche Einschränkungen bereits ab 1500 Metern Höhe auftreten können, steigen die Probanden mit zwei Zwischenübernachtungen in 2500 sowie 3647 Metern Höhe auf. Treten auf dem Weg zum internationalen Zentrum für höhenphysiologische Forschung in der Berghütte Regina Margherita schwerwiegendere Probleme wie große Atemnot, Leistungseinbruch oder auch Rasselgeräusche in der Lunge bei einem Studien-Teilnehmer auf, kehrt dieser von einem Bergführer begleitet ins Tal zurück.
Von der Studie profitieren könnten auch irdische Patienten, die bei Blutvergiftung oder schweren Traumata wie Verbrennung häufig mit Ödemen reagieren, die eine schnelle Gesundung erschweren. „Wenn wir herausfinden, wie man diese gefährliche Einlagerung von Flüssigkeit vermeiden könnte, könnte man diese Erkenntnis auch für solche Patienten in Krankenhäusern einsetzen“, betont Limper.
DLR / JOL