23.08.2016

Astronautentraining in den Hochalpen

Mit dem Blick auf Weltraummissionen untersuchen DLR-Mediziner Ursachen und Folgen der Höhenkrankheit.

Kopf­schmerzen, Übelkeit oder auch ange­schwollene Hände und Füße - das alles kommt auf die Probanden zu, die derzeit zügig zu Europas höchst­gelegenem Gebäude aufsteigen, um freiwillig unter der Höhenkrankheit zu leiden. Auf der italie­nischen Schutz­hütte Regina Margherita in den Walliser Alpen werden zehn Probanden für sechs Tage genau untersucht, wenn ihr Körper auf 4554 Metern Höhe über dem Meeresspiegel auf Sauer­stoffmangel und geringen Luftdruck reagiert. „Wenn in Zukunft Astronauten in einem Habitat auf dem Mars stationiert sind, werden sie sehr wahrscheinlich in einer ähnlichen Druck­atmosphäre leben und arbeiten“, sagt der ärztliche Leiter der Studie, Ulrich Limper vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. „Wir können aber bisher nicht vorhersagen, bei welchen Personen die Höhen­krankheit auftritt und was ihre Ursachen sind.“ Eine mögliche Erklärung: „Der Sauer­stoffmangel in der Höhe schädigt die Gefäß­barriere. Flüssigkeit und Eiweiße wandern daher ins Bindegewebe, und es entstehen zum Teil gefährliche Ödeme im Körper, besonders in der Lunge und dem Gehirn.“

Abb.: Hoch in den Walliser Alpen unterziehen sich Probanden der Erforschung der Höhenkrankheit (Bild: G. Tiraboschi, Rifugi Monte Rosa)

Täglich werden die Teilnehmer der Studie „Ödem­bildung durch Aufenthalt in den Hoch­alpen“ – fünf Männer und fünf Frauen – daher ärztlich untersucht, um Daten zu gewinnen, aber auch um eine Gefährdung ihrer Gesundheit auszuschließen. Sie werden jeden Tag Blut, Urin und Speichel abgeben, ihren Blutdruck und ihre Herzfrequenz messen und in einem Tagebuch exakt erfassen, welche Symptome der Höhen­krankheit in welchem Ausmaß spürbar sind. Leichter, mäßiger oder sogar schwerer Schwindel? Normaler Appetit, leichte Übelkeit, Erbrechen oder schwerste Übelkeit? Zu großen Teilen wirkt sich die Höhen­krankheit auf die Befind­lichkeit aus, die jeder Proband möglichst genau für sich einschätzen muss.

Tägliche Ultraschall­aufnahmen von Lunge, Stirn, Händen und Füßen zeigen hingegen ganz objektiv, ob sich im Gewebe der Probanden Flüssigkeit einlagert, weil die Gefäße durch­lässiger werden. Bruch­stücke der Gefäßwand oder Eiweiß-Moleküle im Blut würden die Hypothese belegen, dass tatsächlich die Gefäßbarrieren durch den Aufenthalt in der Höhe für kurze Zeit geschädigt werden und somit Auslöser für die gefähr­lichen Wasser­einlagerungen unter anderem in Lunge und Gehirn sein könnten. „Wir stehen mit unseren Unter­suchungen noch am Anfang“, sagt DLR-Arzt Ulrich Limper, „aber die Ergeb­nisse der Studie werden uns zeigen, an welchem Mechanismus wir ansetzen müssen, um effektive Gegen­maßnahmen zu treffen.“ Da die Probanden über einen Zeitraum von sechs Tagen den Bedin­gungen in der Höhe ausgesetzt sind, kann auch erforscht werden, ob sich die zerstörten Kapillar­wände nach einigen Tagen wieder regenerieren und der Körper sich an die Höhe anpasst.

Bei einer Weltraum­mission zum Mars wäre dieses Wissen für den Astro­nauten und seine Arbeit vor Ort wichtig: Um häufige Ausstiege aus dem Habitat möglichst unkompliziert und mit kurzer Vorbereitungs­zeit umzusetzen, würden die Astro­nauten unter einer Atmo­sphäre mit geringerem Druck und geringerem Sauerstoff­partial­druck im Vergleich zur Erde leben. Dadurch wäre der Körper besser auf die veränderte Atmo­sphäre im Raumanzug während der Ausstiege vorbereitet. „Allerdings kann zurzeit noch überhaupt nicht abgeschätzt werden, wie groß dabei das Risiko ist, dass die Astro­nauten unter Symptomen der Höhen­krankheit leiden würden.“ In der Inter­nationalen Raumstation ISS leben die Astro­nauten hingegen in einer nahezu irdischen Atmo­sphäre. Druck und Sauerstoff­gehalt unterscheiden sich kaum von den Bedingungen auf der Erde. Daher besteht dort auch nicht das Risiko, dass der Körper mit Symptomen der Höhen­krankheit reagiert.

Während der Körper der Astro­nauten bei einer zukünftigen Mars­mission durch die Isolation, die Strahlung oder auch die psycho­logische Heraus­forderung unter Stress gesetzt wird, erleben die Probanden der Studie ebenfalls Stress­faktoren wie die körperliche Erschöpfung durch den Aufstieg, kühle Tempe­raturen und auch eine psycho­logische Anspannung. „Wir bewegen uns in einer ungewohnten und komplexen Umgebung, die für die Probanden ähnlich explorativ ist, wie der Mars für die Astronauten“, sagt Ulrich Limper.

Da erste körper­liche Ein­schränkungen bereits ab 1500 Metern Höhe auftreten können, steigen die Probanden mit zwei Zwischen­übernachtungen in 2500 sowie 3647 Metern Höhe auf. Treten auf dem Weg zum inter­nationalen Zentrum für höhen­physiolo­gische Forschung in der Berghütte Regina Margherita schwer­wiegendere Probleme wie große Atemnot, Leistungs­einbruch oder auch Rassel­geräusche in der Lunge bei einem Studien-Teilnehmer auf, kehrt dieser von einem Berg­führer begleitet ins Tal zurück.

Von der Studie profitieren könnten auch irdische Patienten, die bei Blut­vergiftung oder schweren Traumata wie Ver­brennung häufig mit Ödemen reagieren, die eine schnelle Gesundung erschweren. „Wenn wir herausfinden, wie man diese gefährliche Einlagerung von Flüs­sigkeit vermeiden könnte, könnte man diese Erkenntnis auch für solche Patienten in Kranken­häusern einsetzen“, betont Limper.

DLR / JOL

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