13.08.2009

Atomare Paritätsverletzung

Die schwache Wechselwirkung führt in Ytterbiumatomen zu einer ungewöhnlich starken Verletzung der atomaren Spiegelsymmetrie

Die schwache Wechselwirkung führt in Ytterbiumatomen zu einer ungewöhnlich starken Verletzung der atomaren Spiegelsymmetrie

Bis 1957 glaubte man, dass die Naturgesetze keinen Unterschied zwischen rechts und links machen. Doch dann entdeckten Yang, Lee und Wu, dass beim β-Zerfall die Spiegelsymmetrie verletzt wird: Spinpolarisierte Kobalt-60-Kerne emittieren Elektronen bevorzugt in die dem Kernspin entgegen gesetzte Richtung. Die für den β-Zerfall verantwortliche schwache Wechselwirkung kommt durch den Austausch von W±-Bosonen zustande, die es nur in einer linkshändigen Version gibt. Die gespiegelten W±-Bosonen kommen in der Natur nicht vor. Diese Paritätsverletzung macht sich auch in der atomaren Elektronenhülle bemerkbar. Jetzt hat man beim Ytterbium-174 eine ungewöhnlich starke Verletzung der atomaren Spiegelsymmetrie beobachtet.

Abb. 1: Stark-Effekt (links) und schwache Wechselwirkung (rechts) tragen beide durch Interferenz zum „verbotenen“ Übergang bei. (Bild: Carin Cain)

Für die atomare Paritätsverletzung sind vor allem die Neutronen im Atomkern verantwortlich, die mit den Elektronen in der Hülle schwach wechselwirken, indem sie mit ihnen Z0-Bosonen austauschen. Da die Reichweite dieser Wechselwirkung nur etwa 0,1 % des Neutronendurchmessers beträgt, spüren von ihr nur solche Elektronen etwas, deren Wellenfunktion merklich in den Atomkern reicht. Die schwache Brechung der Spiegelsymmetrie führt dazu, dass die Elektronen durch polarisiertes Licht zu „verbotenen“ Übergängen angeregt werden können, die bei perfekter Spiegelsymmetrie unmöglich wären. An Cäsiumatomen hat man die atomare Paritätsverletzung beobachtet und mit theoretischen Vorhersagen verglichen, um das Standardmodel der Elementarteilchen zu testen.

Für Atome, die eine komplexere Elektronenhülle haben als das Cäsium, sind nur relativ ungenaue theoretische Vorhersagen möglich, sodass sich die bei ihnen auftretende Paritätsverletzung weniger gut für einen Test des Standardmodells eignet. Doch wie das Beispiel des Ytterbiums zeigt, können solche Atome andere Qualitäten haben. Aufgrund der Verhältnisse in seiner Elektronenhülle sollte Ytterbium-174, den Berechnungen zufolge, eine 100-mal stärkere Paritätsverletzung zeigen als Cäsium. Außerdem besitzt Ytterbium mehrere stabile Isotope, deren Neutronenverteilung im Kern man mit Hilfe der Paritätsverletzung systematisch untersuchen könnte. Jetzt haben Dmitry Budker und seine Kollegen an der UC Berkeley die Paritätsverletzung von Ytterbium-174 gemessen.

Abb. 2: Die Atome fliegen durch gekreuzte E- und B-Felder, wobei der verbotene Übergang von einem Laser (grün) angeregt wird. Anschließend wird die Effizienz der Anregung mit einem zweiten Laserstrahl (rot) gemessen. (Bild: K. Tsigutkin et al.)

Die Forscher haben dazu einen „verbotenen“ Übergang zwischen zwei elektronischen Energieniveaus mit Laserlicht von 408 nm Wellenlänge angeregt. Die Paritätsverletzung machte diesen Übergang möglich. Da sie aber sehr schwach war, ließ sich dieser Effekt nicht direkt beobachten. Deshalb griffen Budker und seine Mitarbeiter zu einem Trick. Sie setzten die Ytterbiumatome gleichzeitig einem Magnetfeld und einem elektrischen Feld aus. Wegen des Zeeman-Effekts spaltete das Magnetfeld die Unterniveaus der Zustände auf, während aufgrund des Stark-Effekts das elektrische Feld E Zustände mit unterschiedlicher Parität koppelte. Da solche Zustände auch durch die Paritätsverletzung gekoppelt wurden, kam es zu einem Interferenzeffekt, den die Forscher ausnutzten.

Die Interferenz führte dazu, dass die Stärke des verbotenen Übergangs von zwei additiven Beiträgen abhing. Der Stark-Effekt gab einen zu E2 proportionalen Beitrag, während die Paritätsverletzung einen zu E proportionalen Term gab. Da das E-Feld mit einer Frequenz von 76,2 Hz moduliert wurde, zeigte sich der Beitrag der Paritätsverletzung bei derselben Frequenz, während der Beitrag des Stark-Effekts bei der zweiten Harmonischen auftrat. Auf diese Weise ließen sich die beiden Beiträge voneinander trennen. Die Forscher variierten zudem die Laserfrequenz und konnten so beobachten, wie gut der verbotene Übergang zwischen den verschiedenen Zeeman-Niveaus stattfinden konnte. Aus den so gewonnen Daten konnten sie die Stärke der Paritätsverletzung bestimmen, die tatsächlich etwa 100 Mal so groß war wie die für Cäsium gemessene. Im Laufe ihrer langwierigen Experimente konnten die Forscher die Messgenauigkeit stetig erhöhen. Sie hoffen, schließlich eine Genauigkeit von 1 % zu erreichen, die nötig ist, um die Unterschiede der Paritätsverletzung beobachten zu können, die für die verschiedenen Ytterbiumisotope vorhergesagt werden.

RAINER SCHARF


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AL

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