19.01.2006

Atomare Unordnung

80.000 kleine Nanomagnete erlauben es, die Eigenschaften von ungeordneten Systemen bei Raumtemperatur zu untersuchen.




80.000 kleine Nanomagnete erlauben es, die Eigenschaften von ungeordneten Systemen bei Raumtemperatur zu untersuchen.

University Park (USA) - Wirr durcheinander bewegen sich Moleküle in Flüssigkeiten und Gasen. Statistische Methoden helfen Physikern, diese zu beschreiben. Um aber die Ursachen für das Verhalten von Molekülen oder ungeordneten Magnetstrukturen zu erschließen, muss genauer hingeschaut werden. Amerikanische Forscher verwirklichten dazu im Labor ein zweidimensionales Areal aus 80.000 kleinen Nanomagneten. Mit diesem künstlichen, so genannten "Spin-Eis" können erstmals bei Raumtemperatur die Eigenschaften von ungeordneten Systemen untersucht werden. Über die ersten Erfahrungen mit diesem Experiment berichten die Wissenschaftler in der Zeitschrift "Nature".

Eine wesentliche Voraussetzung für dieses Experiment bildet die Frustration. Nicht die des Forschers, sondern die seines physikalischen Systems. So drängen beispielsweise Nanometer kleine Magnetstrukturen danach, sich so anzuordnen, dass entgegengesetzte Magnetpole immer genau zueinander zeigen. Doch in räumlichen Strukturen ist dieser beste Weg zur Minimierung der Abstoßungskräfte nicht immer möglich, es befindet sich in einem Zustand der Frustration. Analoge Effekte treten auch bei der Kristallisation von Wassermolekülen auf. Bei Magnetstrukturen aus Holmiumtitanoxid bleibt ebenfalls ein Rest an Unordnung erhalten, selbst wenn es auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt wird. Dieses "Spin-Eis" weist dann folglich noch Entropie-Werte größer als Null auf.

Das Experiment von Peter Schiffer und seinen Kollegen von der Pennsylvania State University lieferte nun erstmals ein solches Spin-Eis, das auch bei Raumtemperatur mit Magnetkraftmikroskopen genauer untersucht werden kann. Es soll Hinweise darauf liefern, wie sich ungeordnete Systeme auf molekularer Basis organisieren und wie sie auf äußere Randbedingungen wie Temperatur- oder Druckwechsel reagieren. "Das künstliche Spin-Eis eröffnet einen neuen Ansatz, um die Eigenschaften von ungeordneten Systemen besser zu verstehen", beurteilt Steven T. Bramwell vom University College in London dieses Experiment.

Links ist eine rasterkraftmikroskopische, rechts eine magnetkraftmikroskopische Aufnahme der verwendeten Struktur zu sehen; der Abstand zwischen den Inseln beträgt 400 nm. (Quelle: Wang et al.)

Mit lithografischen Verfahren setzte das Team von Schiffer etwa 80.000 winzige ferromagnetische Inseln ((Ni 0.81Fe 0.19) auf eine hochreine Silizium-Oberfläche. Jeder Nanomagnet hat dabei eine Länge von wenigen hundert Nanometern. In der Fläche streben nun alle Magneten danach, sich entsprechend ihrer Magnetspins immer gegenseitig auszurichten. So werden die gegenseitigen Abstoßungskräfte minimiert. In einem komplexen System aus Tausenden Nanomagneten gelingt diese perfekte Ordnung jedoch nicht, da die magnetischen Momente der benachbarten Nanomagneten ebenfalls ihre Wirkung zeigen.

Mit der Spitze eines Magnetkraftmikroskops konnte Schiffer dieses Maß an Unordnung nun Magnetinsel für Magnetinsel bestimmen. Die Ausrichtungen der Magnetspins an den Kreuzungspunkten variierten deutlich, um die wirkenden Kräfte im Gesamtsystem möglichst zu minimieren. Es lässt sich mit einem Pfeilmodell für die Magnetspins veranschaulichen: Mal zeigten je zwei von vier Spitzen auf den Kreuzungspunkt und zwei von diesem weg. Häufiger traten die Fälle auf, bei denen wahlweise drei Spitzen oder Enden auf einen Punkt ausgerichtet waren. Seltener zeigten sich wieder die Situationen, bei denen alle vier Spitzen oder Enden auf einen Punkt wiesen.

Für eine genaue Analyse dieses Verhalten ist es bisher jedoch zu früh. Doch hoffen die Forscher, wichtige Erkenntnisse für technische Anwendungen von ungeordneten Magnetsystemen gewinnen zu können. Bei einem besseren Verständnis ließe sich in Zukunft dieses Verhalten vielleicht durch äußere Magnetfelder genauer steuern. Datenspeicher auf Magnetbasis könnten damit höhere Kapazitäten erreichen. Für die Grundlagenforschung von Phasenübergängen kommt noch ein weiterer Aspekt dazu, da die Unordnung eines Systems gerade beim Wechsel zwischen flüssig und gasförmig eine große Rolle spielt.

Jan Oliver Löfken

Weitere Infos:

Weitere Literatur:

  • Harris, M. J., Bramwell, S. T., McMorrow, D. F., Zeiske, T. & Godfrey, K. W., Phys. Rev. Lett. 79, 2554 (1997).  
  • Ramirez, A. P., Hayashi, A., Cava, R. J., Siddharthan, R. & Shastry, B. S., Nature 399, 333 (1999).  
  • Pauling, L., J. Am. Chem. Soc. 57, 2680 (1935).

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